GB Telegramm: Gartenfotografie

Fotografin Sabrina Rothe beantwortet mir meine Fragen zum Thema Gartenfotografie.


Lesezeit: 10 Minuten

Interview: Sabrina Rothe, Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Anke Schmitz ∗ Lektorat: Dr. Ruthild Kropp ∗ Beitragsbild: Sabrina Rothe ∗ Bildquelle: Sabrina Rothe


 

GB: Liebe Sabrina, welche Kamera-Grundeinstellungen gibt es überhaupt in der Gartenfotografie und welche Wirkung erzielt man mit der jeweiligen Einstellung?

SR: Grundlegend gibt es drei verschieden Einstellungen. Es gibt die Totale, wenn du eine Übersicht vom Garten machst. Dann gibt es als Zweites die Halbtotale. Die verwendest du, wenn du eine schöne Kombination vor dir hast, vielleicht mit Gräsern und Stauden, oder du hast da einen schönen Stuhl im Vordergrund und willst ein bisschen dichter dran gehen. Dann entsteht ein Bild, das mehr ins Detail und in die Atmosphäre geht. Und es gibt natürlich noch die Pflanzen und Blütenporträts, bei denen du wirklich ganz dicht dran gehst.

GB: Was sind für dich die Bestandteile eines guten Gartenfotos?

SR: Viel sind Licht, Atmosphäre und Komposition. Farbe, Stimmung, das ist mir wichtig. Aber eben auch, ob das ein toller Garten ist. Das heißt, ob der architektonisch schön ist und ein gutes Pflanzkonzept hat. Es reicht kein tolles Licht, wenn der Garten nichts her macht. Alles muss zusammen spielen.

GB: Wie kann man die Richtung des Lichts nutzen?

SR: Du kannst dir das an hand einer Buchskugel vorstellen, die erscheint von hinten, von deinem Rücken aus ausgeleuchtet ganz flach, aber wenn das Licht so leicht von links oder rechts vorne kommt, dann hat die Kugel eine schöne Plastizität. Das Licht ist also für die Modulierung wichtig.

GB: Was  man auch immer wieder hört, ist, dass es bestimmte Tageszeiten für gutes Licht gibt. Also wann muss ich im Best Case im Garten sein?

SR: Bei der Totalen und der Halbtotalen gilt eigentlich dieselbe Regel: Wenn du wirklich schöne Bilder machen willst, musst du ganz früh aufstehen. Einmal stand ich leider eine Stunde im Dunkeln, so früh muss man dann auch nicht da sein, aber so kurz vor Sonnenaufgang, wenn es schon so ein bisschen hell und die Sonne noch nicht da ist, wäre das vom Zeitpunkt her super. Jetzt im Frühling gehts, aber im Sommer ist das leider echt sehr früh, so gegen fünf. Das machen die richtigen Cracks … oder alternativ eben gegen Abend, später Nachmittag.
Wenn man nicht viel Zeit  hat, fragt man am besten den Gartenbesitzer, wo die Sonne auf- und wo sie untergeht?

GB: Und dann habe ich auch immer mal mitbekommen, bei der Gartenfotografie wäre Gegenlicht total der Hit. Was ist da dran?

SR: Gegenlicht muss nicht sein, schafft aber eine sehr schöne Atmosphäre. Die ist so ein bisschen milchig. Allerdings muss man ein wenig aufpassen, dass nicht zu viel Licht in die Optik bricht. Das Element mit der Sonne funktioniert nur, wenn die Sonne durch die Bäume bricht und nicht so hoch ist. Das bekommt dann eine dichtere Atmosphäre, gar nicht bunter, sondern verwaschener.
Claire Takacs z. B., die ist gerade immer auch in der GI (Garden Illustrated), die macht große Formate, große Weite und fett Gegenlicht, dass die Sonne eben diese Strahlen macht. Das ist nicht meins, auch wenn ich das mal als Element nutze, aber das ist schnell an der Grenze zum Kitsch.

GB: Worauf achte ich, wenn ich ein Bild komponiere? 

SR: Die Kompositionsregeln aus der Flachware gelten auch hier, damit bezeichne ich also alles, was Malerei und Zeichnung anbetrifft. Da gibt es den Goldenen Schnitt oder es gibt die Fibonacci-Folge oder -Spirale. Diese Proportionen sind eben auch in der Natur zu finden, wie z. B. bei der Muschel und dem menschlichen Körper. Natürlich kannst du auch ein Porträt mittig machen, aber leicht nach oben links oder recht verrutscht, nimmt man es dann doch noch stärker als ausgeglichene Proportion wahr.

GB: Jetzt denke ich als Kunsthistorikerin natürlich bei Komposition auch an Bildvorder-, -mittel- und -hintergrund. Wie kann man damit spielen?

SR: Auch da gibt es gewissen Gestaltungsmittel. Entweder ist alles komplett scharf oder du arbeitest mit einer Unschärfe im Vordergrund. Ich mache sowohl das eine als auch das andere. So eine Unschärfe macht das Bild poetischer, spannender, manchmal ist es aber auch gut, das Bild ganz klar und puristisch zu haben.

GB:Was sind die wichtigsten Punkte bei einem spontanen Schnappschuss?

SR: So schnappschussartig muss ich manchmal bei Reisereportagen arbeiten, aber im Garten arbeite ich immer mit dem Stativ. Es gibt zwar auch Gartenfotografen, die das gar nicht machen, die machen das dann wie in der Mode, aber wenn ich auf der Chelsea Flower Show arbeite, ist da auch die Crème de la Crème der englischen, niederländischen und belgischen Gartenfotografen und die arbeiten fast alle vom Stativ.

GB: Bis hierher klingt das nach ganz schön viel, was für ein tolles Bild stimmen muss, bzw. woran ich denken muss bei einem jeden Klick. Läuft das bei dir im Kopf bei jedem Bild wie eine Checkliste ab oder ist das alles mittlerweile automatisiert?

SR: Weil ich das schon so lange mache, ist das bei mir mittlerweile ein unbewusster Prozess. Seit dem Studium schulst du dich ja und sammelst die ganzen Bilder, beschäftigst dich damit, schaust andere Bilder an und irgendwann gab es dann einen Punkt, da musste ich nicht mehr denken, sondern es funktionierte automatisch. Du bekommst dann ein Gefühl und einen Stil, den du anwendest.

GB: Kommen wir mal zur technischen Seite. Wie sollte meine Ausrüstung sein, kann ich vielleicht sogar mit dem Handy coole Bilder machen? Und wenn deiner Meinung nach nicht, warum?

SR: Ich bin nicht so der Tecki, aber ich finde, man braucht eine gute Basis, das bedeutet in meinem Fall eine Spiegelreflexkamera und ich nutze einen Vollformatsensor. Ich habe die Canon 5D Mark IV. Die hat 30,4 Megapixel, aber grundsätzlich brauchst du für die Gartenfotografie nicht unbedingt so viele Pixel. Aber da ich eben auch Architekturfotografie mache und für Werbekunden arbeite, die z. B. auch die Messestände mit diesen Bildern bespielen, brauche ich eben eine hohe Auflösung.
Analog habe ich immer mit Mittelformat fotografiert und damals, als es die Umstellung auf Digitaltechnik gab, musste man sich entscheiden.

GB:Wie fiel dein Entschluss aus?

SR: Weil ich Reportage, Architektur und Garten mache, für die Kleinbild. Kleinbild bedeutet Spiegelreflexkamera, also diese klassische Kamera. Das ist für mich nach langer Überlegung mein Entschluss gewesen, weil ich Shift-Objektive nutze. Das bedeutet, dass, wenn ich eine Landschaft fotografiere und ich vielleicht lieber mehr Wiese, aber weniger Himmel hätte, also gerne mehr Aufsicht hätte, kann ich mit dem Objektiv den Horizont verschieben. Anders gesagt: Ich kann an der Optik drehen und es verändert sich nicht die Aufsicht, aber der Bildausschnitt nach oben und unten oder nach links und rechts. Auf der Chelsea Flower Show bin ich allerdings auch die Einzige, die da an ihren Objektiven dreht. Das hat aber wieder den Hintergrund, dass ich ursprünglich aus der Architektur komme, und da brauchst du das. Und auch beim Interior hast du oft die Situation, dass du mehr Aufsicht haben möchtest, ohne die senkrechten Linien zu verzerren, um z.B. etwas mehr vom Stoff des Sitzkissens oder vom Holz des Tisches zu zeigen.

GB:Was passiert in der Nachbearbeitung?

SR: Du fotografierst ja im Raw, das ist im Prinzip wie früher das Negativ und es gibt dann das Entwicklungsprogramm. Ich arbeite mit Capture One, weil das die beste Farbmodulation hat. Und dann entwickelst du erst am Rechner mit Capture One das Bild. Klar ist das nicht eins zu eins wie beim Negativ, aber es bleibt ein Entwicklungsprozess. Es gibt natürlich so etwas wie ein Grundtool, das erst mal die Farben ansetzt und das ist über die Jahre viel besser geworden. Früher haben wir Gartenfotografen über die beste Darstellung von Grüntönen philosophiert, denn Grün wurde früher digital sehr quietschig dargestellt. Damals musstest du in der Nachbearbeitung in jeden Grünton gehen, damit die sich auch unterscheiden, denn die eine Pflanze hat ein blaueres Grün, die andere ein gelberes Grün und diese Modulation will man ja auch in den Bildern haben. Mittlerweile sind diese eben viel besser ausmoduliert, sodass man eigentlich gar nicht mehr darüber nachdenkt, und dann kommt dann noch dein persönlicher Stil dazu.

GB: Oh, spannend. Was ist dein persönlicher Stil?

SR:Ich entwickle die Fotos zum Beispiel gern ein bisschen wärmer. Kürzlich habe ich aber einen Herbstgarten fotografiert und der funktioniert so nicht. Der ist viel schöner, wenn er kühler, also blauer ist, weil dann die verschiedenen Grün- und Rottöne viel brillanter rauskommen. D. h. das entscheidest du immer auch je nach Garten und je nach Geschichte. Aber natürlich hat jeder Gartenfotograph seinen eigenen Stil. Der eine mag es eher poppiger, ich arbeite lieber entsättigter, neuerdings weicher, manchmal auch kontrastreicher …, also jede Geschichte ist durchdacht und braucht lange in der Entwicklungsphase.
Ich mache auch mehrere Belichtungen, denn oft ist es so, dass die Lichter überzeichnen. Wenn du es zu dicht belichten würdest, wäre die Tiefe weg und so mache ich dann drei, vier Belichtungen zur Sicherheit. Denn wenn es zu hell ist, bekommst du keine Zeichnung mehr in die Lichter. Das bedeutet, dass noch Strukturen in den Lichtern zu erkennen sind und sie nicht komplett „weiß“ sind bzw. überbelichtet und „ausfressen“.
Hinterher baust du die dann im digitalen Prozess im Photoshop zusammen. Das hat für mich manchmal fast was von Malerei. Mir macht es Spaß, so zu arbeiten … und manchmal denkt man dann, warum hat der Rosenbusch auf dem Foto jetzt vier Blüten, eigentlich hatte der doch nur zwei 😉 das ist von Gartenfotograf zu Gartenfotograf unterschiedlich, d. h. manche greifen mehr ein als andere, manche machen es dann blumiger … ich mach das manchmal, aber nicht so oft.

GB: Du fotografierst ja nicht nur Gärten, sondern auch im Bereich Architektur und Interieur. Was lässt die Gartenfotografie aber doch zu so was wie deinem Herzensthema werden?

SR: Wir waren früher im Urlaub immer in einer Hütte, ohne Strom und mit kaltem Wasser. Drum herum waren diesen wunderschönen Bergwiesen. Ich hab das sehr geliebt. Da waren wir so dreimal im Jahr, bis ich 16 war. Diese Nähe zur Natur mochte ich sehr. Und wir hatten zwar keinen großen Garten, aber meine Mutter hat diesen Garten geliebt und war immer begeistert, wenn wieder was besonders schön geblüht und auch geduftet hat. Von ihr habe ich diese Liebe zu den Blumen, zu schönen Sträußen, sodass du dir die Natur ins Haus reinholst … deswegen mag ich diesen natürlichen Stil auch sehr gerne.

GB: Vielen Dank für das Gespräch, liebe Sabrina … und auf bald!


Über

„Fotografie ist für mich Festhalten von Zeit und Bewahren für die Zukunft. Abbild von Ideen, Menschen, Moden und Lebensart  – Atmosphäre im Raum. Abbild von Gärten, Stadtlandschaft , Häusern und unberührter Natur.“Sabrina Rothe studierte Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie und Editorial Design an der Folkwangschule in Essen. Sie absolvierte ihr Studium mit Auszeichnung und arbeitet seitdem nicht nur als Fotografin, sondern produziert, stylt und konzipiert Fotoproduktionen und erzählt Geschichten mit Licht. Ihre Expertise gibt sie unter anderem als Dozentin in der Lehre weiter und inszeniert mit ihrem besonderen Blick für Natur, Atmosphäre und Form eigene Ausstellungen.
Ihr ganz eigener Stil ist grafisch klar und durch die besondere Lichtgestaltung atmosphärisch dicht. Elegant und modern – international.Vorbilder und Inspiration für ihre Arbeit findet sie in der Malerei und in Filmen.
Fotocredits: Thekla Ehling

Sie liebt es, mit Menschen im Team zu arbeiten, ob in einer großen Gruppe für Firmenkunden oder mit Journalisten für Magazin- und Buchbeiträge. Für ihre Arbeit reist sie durch ganz Europa. Ein Geschenk, das Vergnügen mit der Arbeit zu verbinden, wie sie findet. Das gilt vor allem auch für ihre große Leidenschaft zu Blumen, dem Garten und der Landschaftsgestaltung.
Sie lebt mit ihrer Familie in einem Kölner Stadthaus aus der Jahrhundertwende mit Atelier und kleinem Garten. 


Sabrinas Bonustrack

Einfach mal bei sehr guten Fotografen schauen: Wo kommt das Licht her? Oder bei einem Foto, das dir gut gefällt, einfach noch mal rekapitulieren, was macht das Licht? Weshalb finde ich das Bild so schön?


 Sabrinas Website

www.sabrina-rothe.de