Cassian Schmidt darf wohl als Protagonist des „New German Style“ bezeichnet werden. Der Staudengärtnermeister und studierte Landschaftsarchitekt ist seit 2010 Professor für Pflanzenverwendung an der Hochschule Geisenheim und leitet seit gut 23 Jahren den viel beachteten Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof in Weinheim. Im Dezember traf ich Cassian Schmidt in seinem Büro im Gärtnerhaus im Hermannshof zum Gespräch.
Lesezeit: 30 Minuten
Interview: Cassian Schmidt, Anke Schmitz ∗ Einleitung: Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Cassian Schmidt, Anke Schmitz ∗ Fotos: Sylvia Knittel ∗ Fotogallerie: Cassian Schmidt
GB: Lieber Herr Schmidt, die Natur als Vorbild ist in der Geschichte der Gartenkunst ein bekanntes Motiv. Wie war das damals im Landschaftsgarten zu verstehen und wie verstehen wir es gegenwärtig?
CS: Im Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts ging es weniger um das Vorbild realer Natur als vielmehr um ein idealisiertes, kulissenhaft inszeniertes Bildprogramm. Dieses orientierte sich an der Landschaftsmalerei, deren Motive vorwiegend Kulturlandschaften darstellten, die sich an ein arkadisches Ideal anlehnten. Aus meiner Sicht erinnern diese Szenen sehr an die offenen, mit lockeren Baumgruppen bestandenen Hutelandschaften. Pflanzensoziologische und ökologische Aspekte, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gestaltung ganz wesentlich mit beeinflussten, spielten damals noch keine große Rolle. Aus gegenwärtiger Perspektive verstehe ich das Naturvorbild als eine wissenschaftlich basierte Pflanzenverwendung nach ökologischen und pflanzensoziologischen Vorgaben. Heutige Pflanzungen sollten dynamisch-zufällig, aber zugleich pflegetechnisch kompetent gesteuert sein, ästhetisch-sinnlich, aber zugleich rational-wissenschaftlich komponiert sein.
GB: Woher kommt ein Gärtnern auf Basis der angewandten Pflanzensoziologie?
CS:Überlegungen zu einer naturnahen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Pflanzenverwendung finden wir beispielsweise bei dem englischen Gärtner und Schriftsteller William Robinson. In seinem 1870 erschienenen Buch „The Wild Garden“ beschreibt Robinson bereits, wie Pflanzen „nach der Natur“ standortabhängig verwendet werden können und wie man den Charakter eines Lebensraumes ästhetisch in Anlehnung an natürliche Vorbilder darstellt. Neben heimischen Stauden integrierte Robinson bewusst auch winterharte Exoten in seine Konzepte, insbesondere Blattschmuckstauden, mit denen sich seiner Ansicht nach eine noch attraktivere, malerische Wirkung erzielen ließe.
GB: Klingt etwas nach Naturgarten!
CS: Man sollte das Robinson‘sche „Wild Gardening“ nicht mit den Auffassungen des heutigen Naturgartens verwechseln, der anders als bei Robinson nicht die künstlerische Überhöhung zum Ziel hat, sondern dynamische, an der Pflanzensoziologie und dem Naturschutz orientierte, heimische Pflanzkonzepte fordert, die der Mensch möglichst wenig beeinflusst. Den Naturgarten im Sinne Robinsons muss man vielmehr als reformerische Gegenbewegung zum absolut gekünstelten, erstarrten Viktorianischen Gartenstil sehen. Robinson lehnte vor allem die damals beliebten, aber extrem aufwendigen Teppichbeete mit Sommerblumen ab und forderte einen naturalistischen, ungekünstelten Gartenstil.
GB: Wie war die Ausgangssituation bei uns in Deutschland?
CS:In Deutschland verfolgte unter anderem Willy Lange bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Idee, Vegetationsbilder in künstlerischer Weise auf den Garten zu übertragen, indem er Pflanzen nach vorwiegend physiognomischen Gesichtspunkten, also nach ihrem Wuchscharakter, zusammenfügte. Lange selbst war von den Theorien William Robinsons beeinflusst, entwickelte diese weiter und machte sie in Deutschland populär. Zum einen legte er auf eine visuelle Glaubwürdigkeit seiner Pflanzungen wert, das heißt, dass die entsprechenden Pflanzencharaktere zu dem jeweils dargestellten Lebensraum passen sollten, wie „silbrig schimmernde Pflanzen der Steppe“. Zum anderen berücksichtigte Lange pflanzensoziologische Aspekte und eine standortgerechte Verwendung. Hier zeigen sich durchaus Parallelen zur späteren Hansen‘schen Theorie der Lebensbereiche.
GB: Wie ging es dann weiter?
CS:Unter dem Einfluss des Foerster-Schülers Prof. Richard Hansen begannen ab den 1980er-Jahren des 20. Jahrhunderts die gärtnerische Adaption natürlicher Pflanzengesellschaften und zeitgleich die angewandte Pflanzensoziologie eine noch bedeutendere Rolle für die Staudenverwendung in Deutschland zu spielen. Großen Einfluss auf Hansens Arbeit hatte wohl, dass dieser nach seinem Studium wissenschaftlicher Assistent an der Zentralstelle für Vegetationskartierung in Stolzenau/Weser wurde. Dort war er für Reinhold Tüxen tätig, der neben dem deutschen Botaniker Erich Oberdorfer als Begründer und wesentlicher Förderer der modernen Pflanzensoziologie in der Vegetationskunde in Deutschland gilt. Zur selben Zeit war der Geobotaniker und Landschaftsökologe Heinz Ellenberg ebenfalls unter Tüxen an der Zentralstelle für Vegetationskartierung beschäftigt. Und so finden sich die von Hansen erarbeiteten Prinzipien verschiedener Verteilungsmuster und Gruppierungen von Pflanzen, die sogenannten „Geselligkeitsstufen“, bereits bei Ellenberg, bei dem sie als „Soziabilitätsgrade“ eine aus der Geobotanik abgeleitete Entsprechung finden. Weiter lag nahe, dass Hansen auch die ökologischen Zeigerwerte der Pflanzen nach Ellenberg für seine Einteilung nach Lebensbereichen nutzte und adaptierte.
… ich habe inzwischen genügend eigene Erfahrungen gemacht und viel Neues an den Naturstandorten gesehen.
GB: In welcher Tradition sehen Sie sich selbst?
CS: Ich sehe mich einerseits als botanischen Weltenbummler, der maßgeblich von einem pflanzengeografischen Gestaltungsansatz beeinflusst ist, und andererseits in der Tradition einer rationalen, eher technisch-pflanzensoziologisch basierten Hansen‘schen Pflanzenverwendung. Ich habe Richard Hansen in Weihenstephan zwar noch persönlich kennengelernt, war aber nicht sein Student, wie mein Vorgänger im Hermannshof Prof. Urs Walser, der am 9. April diesen Jahres versorben ist. Hansens wegweisendes Buch „Die Stauden und ihre Lebensbereiche in Gärten und Grünanlagen“ von 1981 ist vermutlich den meisten Staudenfreunden ein Begriff und anhand seines Konzeptes der Lebensbereiche und seiner detaillierten Verwendungslisten liefert er der Pflanzenverwendung eine gärtnerisch anwendbare Pflanzensoziologie mit gleichzeitig ästhetischem Anspruch. Genau das ist meine Basis, auch wenn ich die Listen heute kaum noch heranziehe, um Pflanzungen zu entwerfen. Ich beziehe Aspekte der Dynamik, der Koexistenz und der zufälligen Veränderungen deutlich stärker in meine Überlegungen mit ein, als das Hansen tat, und ich habe inzwischen genügend eigene Erfahrungen gemacht und viel Neues an den Naturstandorten gesehen.
GB: Ist diese Hinwendung zur Pflanzensoziologie ein deutsches Phänomen?
CS:Das ist es durchaus. Tatsächlich kannte man die angewandte Pflanzensoziologie als Grundlage der Pflanzenverwendung in anderen Ländern nicht in dieser Feinheit. Mittlerweile ist das allerdings anders. Inzwischen wird das Prinzip der Standortgerechtigkeit und des Interagierens zwischen Pflanzen, also die Dynamik und zeitliche Veränderung, auch anderswo viel mehr beachtet. Selbst die bekannten britischen Pflanzenverwender und Gartendesigner wie Tom Stuart-Smith, Sarah Price oder Dan Pearson haben diese Prinzipien längst übernommen.
GB: Wie kommt es zu dieser Inspiration, sich als Designer an der Pflanzensoziologie und natürlichen Vorbildern zu orientieren?
CS: Es liegt wohl ganz wesentlich daran, dass wir im Studium an der TU München-Weihenstephan hervorragende Vorlesungen und Exkursionen in Vegetationskunde, Pflanzensoziologie und Ökologie bei Koryphäen wie Prof. Jörg Pfadenhauer und Prof. Wolfgang Haber hatten. Dieses Lesen der Landschaften ist für meine Arbeit von großer Bedeutung und das habe ich bei Haber gelernt und verstanden. Andererseits wurde in meiner Generation das Fach Pflanzenverwendungslehre im Rahmen des Landschaftsarchitekturstudiums leider über viele Jahre vernachlässigt, obwohl es doch eigentlich unser wichtigstes Handwerkszeug sein sollte. Etliche meiner Kollegen sind wie ich selbst keine Schüler von irgendwem. Wir hatten somit auch keine direkten Vorbilder, deren Stil wir einfach hätten übernehmen können. Das ist schon erstaunlich, aber vielleicht auch gut, weil man so vermutlich in seiner Herangehensweise freier ist. Ich bin mir bewusst, dass ich meine heutigen Studierenden in gewisser Weise gestalterisch und thematisch beeinflusse oder zumindest in eine bestimmte Richtung lenke … das kann man bei aller Neutralität wohl gar nicht vermeiden. Bestimmte Themen liegen einem eben mehr am Herzen als andere. Das merke ich immer mal daran, dass die Studierenden bei Planungen gerne mit dem Thema „Prärie“ oder „Steppe“ ankommen. Man bekommt wohl immer das, was man verkörpert oder für das man bekannt ist …
In der Rückschau erscheint es mir jedenfalls fast logisch, natürliche Verteilungsmuster und ökologische Prinzipien zu nutzen, um damit den Planungs- und Pflegeaufwand zu reduzieren und zugleich naturalistische Bilder zu erzeugen. Zudem bietet dieser Ansatz die großartige Möglichkeit, die biologische Vielfalt und die Erlebnisqualität im Stadtraum zu erhöhen.
GB: Auf den Britischen Inseln teilen Gartengestalter wie Nigel Dunnett und James Hitchmough Ihren Designansatz. Wie kam es trotz einer anderen Vorgeschichte zu dieser Hinwendung zum „New German Style“ oder „New Perennial Movement“ in England?
CS:Mit dem traditionell vorhandenen gärtnerischen Wissen hat man sich auf der Insel eigentlich fast alles erlauben können. Dabei half auch das ausgeglichene maritime britische Klima. Diese Ressourcen an Manpower und Wissen sind heute allerdings in dieser Form so nicht mehr da. Hinzu kam eine jahrzehntelange Vernachlässigung des öffentlichen Grüns in Großbritannien. Deswegen begann man Mitte der 1990er-Jahre nach neuen Ansätzen zu suchen. Und so schrieb Stephen Lacey 2002 einen Artikel, der den Begriff New German Style prägte. Er verfasste den Beitrag als Reaktion auf eine schon zehn Jahre zuvor mit einigen Kollegen durchgeführte Reise nach Deutschland, auf der er, unter anderem im Weinheimer Hermannshof und im Münchener Westpark, eine ganz konträre Pflanzenverwendung zu der damals in England üblichen vorfand. Die Original-Pflanzentwürfe am Hermannshof stammen von Prof. Urs Walser (1981-1983) und die Pflanzentwürfe am Westpark von Rosemarie Weiße, Dr. Hans Simon und Prof. Urs Walser (1982-1983). Diese drei waren die wichtigsten frühen Protagonisten dieser Ästhetik und dieses naturalistischen Stils. (Der Bruder von Rosemarie Weiße hat mir erst kürzlich die Originalpläne ihrer Westpark-Pflanzungen zur Verfügung gestellt.)
Später haben vor allem James Hitchmough und Nigel Dunnett, beide Professoren für Pflanzenverwendung an der Sheffield University, parallel und zunächst weitgehend unabhängig von den Entwicklungen in Deutschland, einen vielleicht noch dynamischeren, zum Teil auch auf Ansaaten basierenden, naturnahen Ansatz entwickelt, der heute als „Sheffield School“ bezeichnet wird. Ich war vor rund 15 Jahren, als ich zu einem Vortrag über naturalistische Pflanzenverwendung nach Sheffield eingeladen war, sehr überrascht, dass die grundsätzlichen Gedanken dahinter weitgehend dieselben waren wie meine eigenen.
GB: Was sind in der modernen Staudenverwendung die wesentlichen Unterschiede zum traditionellen Gärtnern?
CS:Mir kommt es immer so vor, als stecke in den traditionellen Lehrbüchern dieser Gedanke des Produzierens, des „möglichst viel Rausholens“, weswegen die zu kultivierenden Flächen immer gut gedüngt und gewässert zu sein hatten. Heute machen wir teilweise genau das Gegenteil: Wir hagern aus, wir verzichten auf Düngung und Bewässerung. Wir sprechen dann von stressbetonten Pflanzsystemen, das heißt, wir machen es den Pflanzen scheinbar möglichst schwer. Aber so können wir an extreme Standorte angepasste Spezialisten nutzen und so gleichzeitig lästige Beikräuter ausschließen. Dazu gehört auch, dass wir heutzutage für stressbetonte Pflanzungen weitgehend mineralische Substrate verwenden, die nur 10 oder 15 % organischen Anteil besitzen. All das spart einerseits Arbeit und senkt andererseits Kosten. Zusammenfassend gesagt also ein völlig konträres Tun im Vergleich zum tradierten Ideal der Gertrude Jekyll‘schen Rabatte.
Die traditionelle Pflege ist vermutlich leichter zu verstehen. Wenn man sich aber in die Natur einklinken und die ablaufenden Prozesse mitsteuern möchte, ist die Sache wesentlich komplexer.
GB: Was leistet die moderne Staudenverwendung visuell, was traditionelle Pflanzmuster nicht können?
CS: Es entstehen deutlich natürlicher anmutende, zurückhaltendere und authentischere Pflanzbilder. Meine Pflanzungen wirken manchmal, je nach Jahreszeit, durchaus herb und unbunt, reduziert auf Linie, Form und Textur. Zudem spielt bei mir die bewusst zugelassene Dynamik in der Pflanzung eine wesentliche Rolle. Dies impliziert, dass das geplante Bild keinesfalls statisch gedacht ist, sondern die Veränderung Teil des Systems ist. Im Gegensatz dazu ergibt sich schnell ein relativ unnatürliches, gekünsteltes Pflanzbild, wenn man wie bei den traditionellen, eher statischen Pflanzmustern ähnlich große, jeweils aus einer Art bestehende Pflanzengruppen puzzleartig aneinandersetzt. Zu diesen Pflanzmustern zählen für mich Blockpflanzungen, Driftpflanzungen oder auch Mosaikpflanzungen. Das Thema unterschiedlicher Geselligkeiten, horizontaler oder zeitlicher Layer mit spannungsvollen Durchdringungen oder sanften Verläufen ist dabei ebenso wie das Zulassen dynamischer Veränderungen kaum zu berücksichtigen und auch gar nicht erwünscht. Das ist selbst für einen Profi wie Piet Oudolf eine Herausforderung. Deshalb sucht er in seinen neueren Planungen den Kompromiss in einem, ich nenne es mal „hybriden Stil“ aus abstrakt-grafischem Modernismus und informellem Naturalismus. Diese hybriden Pflanzungen sehen zwar visuell ziemlich naturnah aus und lassen auch ein wenig Dynamik zu, zeigen aber dennoch deutlich die kontrolliert-künstlerische Absicht des Designers. Oudolf beweist, dass das auch auf Basis ganz traditioneller Anordnungsmuster wie den Blockpflanzungen sehr gut gelingen kann, indem er durch raffinierte Artenmischungen in den Blocks und zusätzliche Überlagerungen mit gezielt akzentuiert gesetzten „Scattered Plants“, „Individual Plants“ und herausragenden „Emergent Plants“ Spannung und Rhythmus schafft. Voraussetzung ist aber, dass man aus langjähriger Erfahrung weiß, wie dynamisch oder undynamisch sich die jeweiligen Pflanzen verhalten.
GB: Worin bestehen die Unterschiede in der Pflege?
CS:Die traditionelle Pflege ist vermutlich leichter zu verstehen. Wenn man sich aber in die Natur einklinken und die ablaufenden Prozesse mitsteuern möchte, ist die Sache wesentlich komplexer. Meine Überzeugung ist, je natürlicher ich arbeite, das heißt je näher ich an der Natur bin, desto höher muss die Pflegekompetenz sein. Dazu muss ich die in der Vergangenheit in einer Pflanzengemeinschaft abgelaufenen Prozesse nämlich kennen und beurteilen, um die Zukunft voraussehen und steuern zu können. Man beobachtet also zunächst und lenkt dann in eine bestimmte Richtung, aus dem Wissen heraus, dass bestimmte Strategien dahinterstehen. Mal lasse ich die Zügel locker, mal muss ich sie wieder anziehen, wenn ich merke, dass die Balance kippt. Dann weiß ich, da muss ich jetzt etwas tun und mit Pflegemaßnahmen aktiv gegensteuern.
GB: Sie sagten gerade, je näher ich an der Natur bin, desto höher müsse die Pflegekompetenz sein. Jetzt denke ich spontan an die vielen Naturgärten, die in erster Linie von begeisterten Hobbygärtnern bewirtschaftet werden … jaa, das klingt herausfordernd.
CS: Das braucht tatsächlich viel Know-how und es wird derzeit von den Kommunen und auch den Privatleuten eine Menge gefordert. Alles soll möglichst heimisch und natürlich sein, aber viele haben gar keine Ahnung, was das eigentlich bedeutet. Entgegen der Vorstellung kann man eine dynamische Pflanzung aus überwiegend heimischen Wildstauden eben nicht genauso pflegen wie eine traditionelle Rabatte. Dafür muss der Garten bereits in der grundsätzlichen Herangehensweise radikal anders gedacht werden. Das Gleiche gilt für die angewandten Techniken. Pflanzen werden leider allzu oft als isolierte „Elemente“ angesehen, die man beliebig nach Listen zusammenfügen oder – noch schlimmer – direkt im Baumarkt wahllos und spontan im Einkaufswagen „zusammenkomponieren“ kann. Aber viel wichtiger ist tatsächlich, wie diese Pflanzen später miteinander interagieren, das heißt, wie sie zeitlich und räumlich auf Dauer zusammenspielen. Wenn ich heimische autochthone Pflanzenzusammenstellungen verwende, dann sollte das gleichzeitig ein sich weitgehend selbsterhaltendes System implizieren. Denn wenn ich Insekten und Wildbienen anlocken möchte, muss die Pflanzung als ökologisches Gesamtsystem funktionieren; durchaus mit gezielter menschlicher Unterstützung, denn es ist ja immer noch ein Garten und keine Wildnis. Da ist noch viel Luft nach oben und auch mit diesen Dingen beschäftigen wir uns zukünftig hier im Hermannshof und im Arbeitskreis Pflanzenverwendung.
GB: Welche Bedeutung haben für Sie das Reisen und die Besuche von Naturstandorten?
CS: Ich bin immer viel unterwegs gewesen und das in der aktuellen Pandemie-Situation nicht tun zu können, ist für mich tatsächlich etwas schmerzlich. Ich hatte das Glück, zu vielen tollen Vorträgen eingeladen zu werden und so Vegetationstypen und Gärten aller Kontinente bis auf Afrika kennenzulernen. Das beinhaltet auch Gebiete, die nur noch wenig mit dem mitteleuropäischen Klima gemein haben, aber das macht es ja auch spannend. Mich faszinieren dabei aber nicht nur die Naturlandschaften, sondern auch die Kultur und Architektur wie beispielsweise im Iran und natürlich auch die Menschen und welche Probleme diese speziell in extremen Klimaten gartenbaulich lösen müssen. Es ist inspirierend zu sehen, was unter Einschränkungen dann doch alles möglich ist.
Viele Erkenntnisse und Aha-Erlebnisse rund um die Pflanzen hätte ich ohne die Reisen nie gehabt.
GB: Und bezogen auf Ihre botanischen Studien?
CS: Für meine Arbeit ist das Studium der Wildpflanzen und Pflanzengemeinschaften an den Ursprungsstandorten in der Tat essenziell. Dazu gehört auch das Nachdenken über die Bedingungen, die vermutlich zu den jeweiligen Mustern und Kombinationen geführt haben. Dabei interessiert es mich natürlich auch, ob die Pflanzen einen ästhetischen Wert haben und potenziell geeignet sind, in die Gartenkultur eingeführt zu werden. So habe ich in den letzten gut 20 Jahren im Rahmen meiner Arbeit im Hermannshof und durch zahlreiche Artikel viele neue Gestaltungsthemen und Pflanzen mit Potenzial in den Fokus rücken und in die Gartenkultur einführen können, die vorher niemand beachtet hatte oder gar verwendete. Viele Erkenntnisse und Aha-Erlebnisse rund um die Pflanzen hätte ich ohne die Reisen nie gehabt.
GB: Es gibt das Foto von Hansen an einem Naturstandort in der Nähe von Triest, in der Hand Zettel und Stift. Was genau notiert man dort vor Ort?
CS: Direkt vor Ort notiere oder merke ich mir das Wesentliche: Mengenverhältnisse, Dominanzen, Leitarten, Schichtungen, Proportionen und Angaben zum Standort (Exposition, Höhenlage); was wächst zusammen? Wo sind vielleicht auch Grenzen? Warum ist an der einen Stelle diese Kombination und zwei Meter weiter eine ganz andere zu finden? Ändern sich da vielleicht die Feuchtigkeits- oder Lichtverhältnisse? 2016 waren James Hitchmough und ich zum Beispiel auf Reisen in Kirgisistan. Auf seinem Blog analysiert er gerade die einzelnen Naturszenen und stellt Vermutungen an, welche Faktoren für die Vegetation maßgeblich sind. Da spielen Dinge wie Stickstoffgehalt, Nährstofflevel, Störungen, Stress, dünner Vegetationshorizont und natürlich die klimatischen Bedingungen eine Rolle. Wir fragen uns dann aber auch, was können wir daraus gestalterisch mitnehmen und vielleicht in Projekten anwenden? Eine Situation mit dünnem Bodenhorizont könnte vielleicht einen Ansatz für eine Pflanzung auf Dachgärten liefern. Und manchmal findet man eben auch Pflanzen an Stellen, an denen man diese gar nicht erwartet hätte. Man kommt dann plötzlich auf Ideen, auf die man so nie gekommen wäre.
GB: Haben Sie ein Beispiel für eine solche Überraschung, die Sie mal erlebt haben?
CS:Ein Beispiel fällt mir aus einer Prärie nördlich von Chicago ein. Es gibt dort alte Binnendünen mit einer sanft bewegten „ridge and swale“-Topografie. Zwischen den feuchteren Senken und den trockeneren Hügelkuppen gibt es nur Höhenunterschiede von einem oder maximal zwei Metern. In den wasserzügigen, im Frühjahr zeitweilig sogar nassen swales (Mulden) wächst Tautropfengras (Sporobolus heterolepis) kombiniert mit Dodecatheon, der Götterblume. Die Götterblume wird bei uns häufig nach Lehrbuch an den lichten Gehölzrand zusammen mit Schattenstauden gesetzt, aber in diesen Senken wächst sie in voller Sonne zusammen mit Gräsern und Prachtscharten (Liatris spicata). Die Gräser und Prachtscharten treiben spät aus und so ist im Mai zunächst alles voller Dodecatheon. Im Sommer ziehen sie ein, sobald die Gräser ihre volle Höhe erreicht haben. Auf den nur unwesentlich höheren, sandigen Hügeln dagegen blühen im Hochsommer dann zum Beispiel trockenheitstolerante Neuengland-Prachtscharte (Liatris scariosa) mit Schleier-Wolfsmilch (Euphorbia corollata) in einer lockeren Matrix aus Purpur-Liebesgras (Eragrostis spectabilis) und sogar eingestreuten niedrigen Feigenkakteen (Opuntia humifusa). Solche wunderschönen Kombinationen, die man nicht aus Gartenbüchern, sondern nur in der Natur selbst kennenlernen kann, habe ich natürlich auch hier im Hermannshof versucht zu verwirklichen.
GB: Das ist ja meist nur eine Momentaufnahme, die ich vor Ort auf einer Reise sehe. Welche Aussagen kann man auf der Reise über die Pflanzengesellschaft einer Pflanzfläche machen?
CS: Tatsächlich ist das, was wir draußen sehen, jeweils nur eine Momentaufnahme. Aber wenn wir vor Ort im Sommer beispielsweise noch trockene Stängel oder Samenstände sehen, können wir uns schon vorstellen, wie das Bild im Frühjahr ausgesehen hat und natürlich können wir aus unserem Wissen heraus einiges vermuten. Wir finden vielleicht noch einzelne kleine Rosetten eines Frühjahrsblühers oder Fruchtstände einer Zwiebelpflanze oder sehen gleichzeitig schon zahlreiche Austriebe einer Aster, dann wissen wir, dass diese später im Jahr das Bild prägen wird. Zu erkennen, welche Pflanzen eine solche Pflanzengesellschaft in unterschiedlichen Jahreszeiten als Aspekt prägen, ist natürlich von großer Bedeutung, denn es geht ja im nächsten Schritt darum, wie ich das gesehene Bild im Garten umsetzen kann. Ich mache es immer so, dass ich zunächst die Situation beispielsweise anhand von Zeigerpflanzen ökologisch beurteile, und dann versuche, die Essenz aus dem Gesamteindruck mit den jeweils prägenden, bedeutenden Elementen und Strukturen gestalterisch zu adaptieren oder zu überhöhen. Dabei sind allerdings durchaus auch die untergeordneten Details oder die dosiert eingesetzten Akzente wichtig. Sie machen das gewisse Etwas einer Pflanzung aus.
GB: Was genau meinen Sie mit Essenz? Geht es da um Stimmungen?
CS: Ja, genau, es geht um weit mehr als die bloße Summe der gestalterisch passend eingesetzten Elemente, es geht um Gefühle, die beim Betrachter unbewusst oder gezielt ausgelöst werden sollen. Mich persönlich hat es zum Beispiel in den mystisch-nebelfeuchten, üppigen Monsun-Bergwäldern Südwest-Chinas besonders ergriffen. Wenn ich in so einem naturbelassenen, urigen Wald voll großblättriger Stauden stehe, diese Gerüche, diese Stimmungen erlebt habe, ist das etwas, was ich den Betrachtern meiner Pflanzungen zumindest annäherungsweise rüberbringen möchte.
GB: Welche Betrachtungsweise einer Pflanzfläche eröffnet sich mir durch die Einteilung in einzelne Schichten, auch Layer genannt?
CS: Sowohl in der Natur als auch in einer Gartensituation ergibt sich durch das Arbeiten mit einzelnen Layern ein gestuftes Höhenrelief, das die Pflanzung vertikal gliedert. Es ergeben sich dadurch aber auch zeitlich versetzte, aufeinander folgende Entwicklungs- und Blühphasen. Das Höhenrelief in einer Staudenpflanzung besteht aus den Gerüstbildnern, das sind meist höhere, blicklenkende Stauden und Gräser mit markantem Habitus. Die mittlere Stufe können die Aspektbildner einnehmen, also im Jahresverlauf visuell dominante Pflanzen, die je nach Jahreszeit das Bild prägen können. Der Begriff der „Aspektbildner“ ist eigentlich ein Terminus aus der Vegetationskunde, der auf die Pflanzenverwendung übertragen wurde. Heiner Luz plant seine Pflanzungen ausschließlich nach diesem Prinzip. Die englische Bezeichnung „seasonal theme plants“ drückt es für mich aber tatsächlich noch besser aus, denn diese Verwendungskategorie hat vor allem einen starken gestalterischen Effekt, sozusagen der thematische „Rote Faden“ über die Jahreszeiten hinweg. Die Aspektbildner werden durch Begleiter unterstützt, die dann ebenfalls eine mittlere oder kniehohe Stufe einnehmen. Die Bodendecker bilden die untere Schicht bis etwa 30 cm Höhe. Sie bilden gleichzeitig einen wichtigen Funktionslayer, der als „Lebendmulch“ die Austrocknung minimiert und Unkraut unterdrückt.
GB: Gibt es dafür quantitative Angaben, wie ich diese Layer auf der Gartenfläche anwenden kann?
CS: Tatsächlich haben wir bei den sogenannten „Mischpflanzungskonzepten“ ein Grundrezept entwickelt: Wir brauchen wenige (etwa 5%) herausragende Gerüstbildner, dazu vielleicht 20 bis 25 % Aspektbildner, dann noch 20 bis 25% Begleiter, 30 bis 50% Bodendecker und schließlich noch 5 bis 10 % Dynamiker. Das sind kurzlebige Pflanzen, die nicht ortsfest sind, aber im Pflanzjahr als Lückenfüller eine wichtige Aufgabe übernehmen. Sie entwickeln sich rasch und blühen reich. On top, also zu den insgesamt dann hundert Prozent der Stauden, kommen noch die Zwiebelpflanzen hinzu, die in die noch vorhandenen Lücken im Herbst locker eingestreut werden. Aus diesen Prozentzahlen ergeben sich dann natürlich auch die Verteilungsmuster und Häufigkeiten. Je mehr Prozent ich von einer Pflanze setze, desto wirksamer wird sie hinterher aufgrund des größeren Flächenanteils sein. So entsteht ein spannendes, abwechslungsreiches Gesamtbild.
Ich denke, die Pflanzung muss am Ende mehr ausdrücken, als nur die ökologischen-technischen Fakto- ren berücksichtigt zu haben.
GB: Was lässt sich vom Naturstandort in den Gartenraum übertragen?
CS: Ein Beispiel wäre der Blick auf die Nutzungshistorie eines Standortes und seiner Vegetation. In den halbnatürlichen Wiesensteppen Kirgisistans beispielsweise entstehen die oft besonders eindrucksvollen, blütenreichen Bilder aus Salbei und Schafgarben, nachdem der Standort ein paar Jahre zuvor durch Umpflügen oder Beweidung gestört (ruderalisiert) wurde. Man fühlt sich sogar manchmal an gestaltete Gartenbilder erinnert, so prächtig muten die Naturszenen an. Da auch Gartenstandorte durch Bearbeitung stets mehr oder weniger gestört (ruderal) sind, lassen sich solche, auf sporadischen Störungen basierende Vorbilder relativ leicht übertragen. Alte, reifere Pflanzengesellschaften hingegen, die seit Jahrhunderten ungestört bestehen oder durch sehr spezielle Bedingungen entstanden sind, lassen sich meist viel schwerer am Gartenstandort umsetzen. Ganz grundsätzlich schauen wir, was gartentauglich und gleichzeitig visuell interessant sein könnte, welche Arten und Ersatzarten wir vielleicht in Kultur haben, um eben diese Bilder gestalterisch zu adaptieren. Dabei fange ich immer mit dem Gerüst, sprich den Gehölzen an, die die Kulisse bilden und das Thema sowie die Raumsituation verdeutlichen. Alles andere ergibt sich dann daraus. Die Gerüstpflanzen bilden zusammen mit den Aspektbildnern den Design-Layer, der die wesentliche Ästhetik einer Pflanzung ausmacht. Das ist das, was der Betrachter sofort sieht und erfassen kann. Darunter kommt der Funktions-Layer, der die Pflanzung dicht macht und die Pflege einspart.
GB: Kann ich die Layer nicht einfach aus der Natur übertragen?
CS: Es reicht leider meist nicht, die vorgefundenen Verhältnisse aus der Natur 1:1 übertragen zu wollen, das haben wir oft genug festgestellt. Im Garten sind die Konkurrenzverhältnisse oft komplett anders und das „zerhaut“ mir viele dieser Ideen. So ist beispielsweise Vernonia (Scheinaster) am Naturstandort in der Konkurrenzsituation vielleicht nur hüfthoch, aber in der Gartensituation wächst sie zu einem 2 m hohen Busch heran. Diese natürlichen, konkurrenzbedingten Verhältnisse kann ich im Garten oft nur sehr bedingt nachahmen. Ein praktikabler Weg in diese Richtung ist es, auf mageren Substraten zu pflanzen, um möglichst nah an diese natürlichen Bilder heranzukommen.
GB: Wenn beides zusammenkommt, also der technisch- ökologische Aspekt und die Stimmungen aufeinandertreffen, ist es das, was Sie als authentische Pflanzung bezeichnen würden?
CS: Ich denke, die Pflanzung muss am Ende mehr ausdrücken, als nur die ökologischen-technischen Faktoren berücksichtigt zu haben. Den starken Texturkontrast zwischen sehr grobem und sehr feinem Laubwerk, den Karl Foerster griffig den „Harfe und Pauke-Effekt“ nannte, bezeichnen wir heute eher technisch als Tex- turstufen. All diese messbaren Eigenschaften der Pflanzen kann man gut analysieren und deren Anwendung erlernen. Aber das große Ganze, was ich als emotional-visuellen Gesamteindruck der Pflanzung bezeichnen würde, fasst etwas zusammen, was nur bedingt planbar und voraussehbar ist und wohl von jedem Menschen individuell wahrgenommen wird. Im Idealfall bin ich von einer Pflanzung genauso ergriffen wie beim Eintauchen in die unberührte, erhabene Natur. Ich möchte, dass die Leute, wenn sie durch eine meiner Pflanzungen gehen, mehr mitnehmen als nur die einzelnen Elemente oder den Eindruck, ein schönes Bild gesehen zu haben. Sie sollen vielmehr emotional in die Szene bzw. Pflanzung eintauchen und das nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch ganz real.
GB: Wie stellen Sie das an, diese Nähe zwischen Besucher und Pflanzung herzustellen?
CS: Dazu verwende ich gerne schmale Pfade, auf denen die Besucher tatsächlich mit den Pflanzen in Berührung kommen. So werden sie quasi gezwungen, sich länger in der Pflanzung aufzuhalten, auch Details wahrzunehmen, anstatt einfach an vielem vorbeizulaufen. Auch Richard Hansen hat bereits von der Aura einer Pflanze gesprochen. Damit meinte er wohl den besonderen Charakter, die individuelle Ausstrahlung jeder Pflanze in Verbindung zu ihrem Kontext. Ich frage mich deshalb immer, was könnte eine bestimmte Pflanzenkombination beim Betrachter auslösen, ohne dass er Vorkenntnisse besitzt oder viel gereist ist? Das ist mir wichtig, dass ich das hinbekomme.
GB: Was ist Ihre eigene Intention bei der Planung der Beete im Hermannshof?
CS: Mich interessiert vor allem das Zusammenspiel der Pflanzen, die Ästhetik im Wandel der Jahreszeiten, aber nicht unbedingt eine Artensammlung zu komplettieren, auch wenn der Hermannshof zum Teil auch die Aufgaben eines klassischen botanischen Gartens hat. Wir versenden beispielsweise alljährlich eine umfangreiche Samenliste an rund 250 botanische Gärten weltweit, in der auch meine zahlreichen Sammlungen von den Wildstandorten enthalten sind. Hier im Garten geht es mir gestalterisch darum, Vegetationsvorbilder zu abstrahieren, zu überhöhen oder durch Weglassen zu vereinfachen. Das gelingt einem allerdings nicht immer, man muss sich regelrecht disziplinieren. So habe ich am Rand des Präriegartens bewusst das Prinzip der Wiederholung und Steigerung gewählt, indem ich einen Hain aus sechs großen Cornus nuttallii ‘Ascona’ gepflanzt habe, deren Wirkung im April phänomenal ist. Ich hätte natürlich auch sechs verschiedene Sorten nehmen können, um eine Sammlung aufzubauen, aber dann hätte ich den eindrucksvollen Wow-Effekt verschenkt. Die Entschiedenheit und Klarheit der großen Geste wäre damit abgeschwächt worden. Auf der Staudenebene hat Hansen deshalb das Prinzip der themengebenden Leitstauden und der untergeordneten Begleitstauden eingeführt. Ziel ist es dabei ebenfalls, zu jeder Jahreszeit ein klares, eindeutiges Bild entstehen zu lassen.
Ich glaube, ich konnte zumindest dazu beitragen, dass man Wildpflanzen, ob nun heimisch oder nicht, mehr schätzt und verwendet.
GB: Zu Beginn unseres Gesprächs sprachen wir über die Tradition, in der Sie sich sehen. Was würden Sie mit Blick auf die Gegenwart und ein Stück weit in Rich- tung Zukunft sagen, was haben Sie selbst in dieser Tradition weitergetragen?
CS:So etwas ist immer schwierig zu beurteilen, wenn man selber mittendrin steckt. Ich bin mir aber durchaus bewusst, dass ich etwas in der Pflanzenverwendung bewirkt habe. Jonas Reif hat die Phase ab Mitte der 1990er- bis in die 2010er-Jahre in der Gp 12/2014 als das „goldene Jahrzehnt“ der Pflanzenverwendung beschrieben und wenn ich weltweit zu Vorträgen eingeladen werde, geht es stets um den „New German Style“, genauer gesagt, um dessen Weiterentwicklung seit etwa 1995 bis heute. In diesem Zeitraum hat sich in der Pflanzenverwendung gerade in Deutschland ja unglaublich viel getan und weiterentwickelt. Davon ist mein Beitrag sicher nur ein Teil. Ich glaube, ich konnte zumindest dazu beitragen, dass man Wildpflanzen, ob nun heimisch oder nicht, mehr schätzt und verwendet. Insbesondere die sehr klimatauglichen Steppen- und Präriepflanzen habe ich in Deutschland und Teilen Europas in den Fokus gerückt, was bis heute zu einem regelrechten „Prärietrend“ geführt hat. Als Nebeneffekt haben sich nicht nur die Staudensortimente in den hiesigen Gärtnereien deutlich verändert, das „New Perennial Movement“, verbunden mit einem neuen naturalistischen Stil, ist erstaunlicherweise auch in die USA übergeschwappt. Ferner wird mein Name wohl auch immer mit dem Thema Staudenpflege verknüpft sein. Da haben Till Hofmann (über 17 Jahre leitender Gärtnermeister im Hermannshof) und ich in unseren Ansichten und Zielen einfach perfekt zusammenge- passt. Wir haben den Gesichtspunkt des Pflegeaufwandes und vor allem der an den ökologischen Strategietypen nach Grime orientierten Pflegekonzepte wohl erstmals systematisch aufgegriffen und für die Pflanzenverwendung adaptiert. Auf Basis dieser, über viele Jahre erhobenen Pflegezahlen konnten schon be- kannte Projekte von Piet Oudolf, wie die Realisation der Pflanzkonzepte auf der High Line in New York oder im Lurie Garden in Chicago, schon im Vorfeld in ihrem Pflegeaufwand kalkuliert werden.
GB: Ihr Wunsch für die Zukunft?
CS: Für die Zukunft wünsche ich mir, dass sich die Pflegequalität näher an den planerisch-gestalterischen und ökologischen Zielen orientiert, sodass beides eine sich gegenseitig bedingende Einheit bildet. Deswegen sollten wir über die Fachrichtung des Pflegegärtners nachdenken, denn Pflege ist heute weit mehr als Formschnitt und Unkraut jäten.
GB: Lieber Herr Schmidt, haben Sie vielen Dank! Ich konnte wirklich viel aus unserem Gespräch mitnehmen …
Über
Cassian Schmidt ist ein deutscher Landschaftsarchitekt und Staudengärtnermeister. Er lebt in Weinheim/Bergstraße und ist mit der Landschaftsarchitektin Bettina Jaugstetter verheiratet.
Geboren am 17.8.1963 wuchs Schmidt in Essen auf. Schon früh machte sich bei Schmidt eine Affinität zu Bäumen bemerkbar, kleinere Landschaftsporträts ließen bereits in Kindertagen Gestaltungswillen erkennen.
An das Abitur auf dem Essener Burggymnasium schloss Schmidt eine Ausbildung zum Garten- und Landschaftsgärtner an. Gesellenjahre im Garten- und Landschaftsbau folgten, bis er 1985 die Beschäftigung bei der Staudengärtnerei von Zeppelin in Laufen/Baden aufnahm. Prägend in dieser Zeit war für Schmidt der einjährigen Auslandsaufenthalt in der Staudengärnerei Kurt Bluemel INC. in Baldwin, Maryland. In diesem Rahmen fanden auch regelmäßige Exkursionen an verschiedene Naturstandorte statt und Schmidt knüpfte Kontakt zu den Vertretern des „New American Garden“ Wolfgang Oehme und James van Sweden – ein wichtiger Impuls, der in ihm unter anderem das Interesse an der Verwendung von Gräsern und Präriepflanzen weckte. Seine Beschäftigung bei der Staudengärtnerei Zeppelin führte er bis zu seiner Meisterschulausbildung 1989 an der Fachschule für Gartenbau in Hannover-Ahlem weiter fort. Zum Wintersemester 1990/91 nahm Schmidt das Studium der Landespflege Schwerpunkt Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität München- Weihenstephan (TUM) auf, das er 1996 mit dem Diplomingenieur (TU)- Landschaftsarchitektur abschloss. Bereits während des Studiums arbeitete er begleitend bei dem Münchener Landschaftsarchitekten Heiner Luz an der Vorprüfung und dem Preisgericht zum landschaftsarchitektonischen Wettbewerb für den Landschaftspark München-Riem mit. An das fertige Studium schlossen sich eine Anstellung als Landschaftsarchitekt im Büro Sommerlad und Partner, Garten- und Landschaftsarchitekten, in Gießen (heute Büro SHK, Gießen) an.
1998 übernahm Schmidt die Gesamtleitung des Schau- und Sichtungsgartens Hermannshof in Weinheim von seinem Vorgänger Urs Walser.
Seit 2010 hat Schmidt eine Honorarprofessur für Pflanzenverwendung und Pflanzplanung an der Hochschule Geisenheim University, Studiengang Landschaftsarchitektur inne.
Cassian Schmidt ist Buchautor und Autor zahlreicher Fachartikel zur Pflanzenverwendung / Pflanzplanung, zur gestalterischen Umsetzung von Vegetationsvorbildern und zum Pflegeaufwand sowie zur Anwendung ökologischer Pflegestrategien und -konzepte in Staudenpflanzungen. Er hält regelmäßig Vorträge und Seminare im In- und Ausland, unter anderem in Australien, Chile, China, England, Frankreich, Irland, Italien, Kanada, Schweden, Ungarn und den USA.
Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Entwicklung, Erprobung und Optimierung von neuen pflegereduzierten Pflanzungstypen für das öffentliche Grün und die Ermittlung des Pflegeaufwandes von unterschiedlichen Staudendauerflächen sowie die Entwicklung differenzierter Pflegestrategien.
Seit 2004 Vorsitzender des Arbeitskreises Pflanzenverwendung im BdS und Mitglied im Arbeitskreis Staudensichtung im BdS. 2008 übernimmt Schmidt die Leitung und Organisation der jährlich stattfindenden Grünberger Staudentage.
Mitgliedschaften (Vorstand/ Beirat):
– Vorsitz des Arbeitskreises Pflanzenverwendung
– Internationale Staudenunion (ISU),
– Bund Deutscher Staudengärtner (BdS),
– Gesellschaft der Staudenfreunde (GdS),
– Karl-Foerster-Stiftung für angewandte Vegetationskunde
– Stiftung Arboretum Park Härle
– Beirat Gartenpraxis
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