Der Klimawandel kann wohl als das Thema der Stunde bezeichnet werden. Hierbei wird schnell klar, dass eine Unzahl an Kreisläufen ineinandergreift und die regionalen und globalen Prozesse unglaublich komplex und schwer vorhersagbar sind. Welche Tragweite zum Beispiel das Verschwinden des Lachses auf die nordamerikanischen Wälder haben kann, konnte man unlängst in einem Buch über die systemischen Zusammenhänge im Wald erfahren.
Nun legt die etablierte Gartenjournalistin und Buchautorin Ina Sperl bei Gräfe und Unzer mit „Das Grüne Wunder“ ein Buch über die Verzahnungen des Kosmos Garten vor. Das Buch schließt damit sehr anschaulich und großartig bebildert eine Lücke zwischen der Rubrik Gartenbuch und dem aktuellen Zeitgeschehen und vermittelt so eine zeitgemäße Haltung gegenüber dem Thema Garten.
Lesezeit: 5 Minuten
Interview: Ina Sperl, Anke Schmitz ∗ Einleitung: Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Ina Sperl, Anke Schmitz ∗ Fotos: Anke Schmitz ∗ Lekorat: Dr. Ruthild Kropp
GB: Hi Ina, erstmal Glückwünsche zu Deinem Buch! Systemische Betrachtungsweisen sind ja gerade sehr angesagt und mit deinem Buch nun endlich auch im Garten angekommen. Wichtig finde ich. Was denkst du, warum war genau jetzt die Zeit dafür reif?
IS: Hallo Anke, danke schön!
Wenn man mehr von den Zusammenhängen versteht, dann findet man besser seine eigene Rolle im Garten. Und einen eigenen Standpunkt. Viele Gärtnerinnen und Gärtner möchten heute mehr wissen. Nicht einfach so gärtnern, wie es immer gemacht wurde, sondern hinterfragen, warum etwas so und so gemacht wird. (Oder vielleicht auch besser sein gelassen werden sollte, das große Aufräumen im Herbst zum Beispiel.) Und das Interesse an der Natur beziehungsweise an dem, was ohne menschliches Zutun geschieht, wächst. Insekten und Wildtiere bekommen einen höheren Stellenwert. Man pflanzt Stauden, die Insekten Nahrung bieten, und Gehölze, die Vögeln nützen. Doch darüber hinaus gibt noch viel mehr zu entdecken. Was ist mit den Regenwürmern? Den Spinnen, den Kleinstlebewesen im Boden? Nicht, dass wir wirklich viel verstehen von dem, was vorgeht in der Natur und auch im Garten. Die Beziehungen der Tiere und Pflanzen untereinander sind stark verflochten, und nur ein Bruchteil ist bekannt. Aber das ist besser als gar nichts. Wenn ich weiß, dass die Brennnessel Futter für viele Schmetterlingsraupen ist, dann freue ich mich vielleicht sogar, sie im Garten zu haben und sehe sie nicht als Unkraut. Wenn ich weiß, dass die Blattläuse kaum Schaden anrichten, vielmehr Nahrung für andere Tiere sind, dann erdulde ich sie auch auf meinen Rosen, bis sie von Marienkäfern aufgefuttert werden. Wenn ich weiß, wer in altem Holz so alles lebt, lasse ich den toten Baumstamm gerne liegen – und finde ihn dann vielleicht auch ästhetisch. Der Blick verändert sich.
GB: Ist diese Wahrnehmungsveränderung eine persönliche Erfahrung, die du da auch ein Stück weit nachzeichnest?
IS: Eigentlich eher umgekehrt. Rein ästhetisch gesehen nähern sich die Gärten immer mehr dem an, was ich schon als Kind schön fand. Ich mochte zum Beispiel Wilde Möhren oder Karden und fragte mich, warum die nicht im Beet stehen sollten. Vieles war bei uns zu Hause aber auch ganz selbstverständlich. Jedes Tier hatte seine Daseinsberechtigung, selbst wenn es den Salat gefressen hat. Oder die Ameisen, wenn die ihren Hochzeitsflug an der Terrassentür gestartet haben: Es war klar, dass die da gerade etwas zu tun haben, bei dem man sie nicht stört. Ökologische Zusammenhänge wurden gar nicht weiter vertieft, eher respektiert. Später haben mich dann auch die Hintergründe interessiert. Das mag mit meiner Sozialisation in den 1980er-Jahren und einer ökologisch bewussten, guten Biologielehrerin zusammenhängen.
GB: Ich stelle es mir gar nicht so einfach vor, so komplexe Vorgänge über das gesamte Gartenjahr darzustellen. Was waren deine Überlegungen dazu?
IS: Die Struktur für das Buch hatte ich sehr schnell im Kopf und auch die Idee, Experten dazu zu holen. Denn sie erklären Sachverhalte, die noch nicht zum Allgemeinwissen gehören. Etwa, was beim Wachstum überhaupt passiert in den Zellen. Warum Beeren häufig rot sind. Oder was die Blattläuse davon haben, sich so explosionsartig zu vermehren.
Doch auch hier zeigen wir natürlich nur Ausschnitte. Über das, was in einem Jahr in einem Garten passiert, könnten ganze Enzyklopädien geschrieben werden. Ich habe Aspekte ausgewählt, die mir selber aufgefallen sind, die mich persönlich interessieren und habe mich bei Freunden umgehört, was sie immer schon mal wissen wollten.
Die kleinen Elemente – die Sympathieträgerin Erdhummel und der meist ungeliebte Giersch – haben Spaß gemacht. Ich fand es spannend zu zeigen, was die im Jahresverlauf eigentlich so treiben.
GB: Was hast du selbst aus deiner Arbeit zu deinem Buch an Erkenntnis mitgenommen?
IS: Dass ich noch viel zu wenig weiß. Dass es lohnt, immer die Augen offen zu halten im Garten. Und dass es sich lohnt zu überlegen, was eine Aktion bringt. Muss ich wirklich umgraben, auch wenn ich dabei mit jedem Spatenstich mindestens einen Regenwurm zerteile? Ist es wirklich notwendig, einen Leimring um meinen Apfelbaum zu legen, um die Frostspanner zu dezimieren? Es bleiben nämlich auch viele andere Insekten kleben, und die paar Frostspanner schaden dem Baum und der Ernte nicht wirklich.
Jedes Eingreifen hat Auswirkungen, die sich aus menschlicher Sicht kaum einschätzen lassen, aber das Beziehungsgefüge im Garten empfindlich stören können. Wenn ich das vermeiden kann, lasse ich es lieber. Für mich stellt sich die Frage: wie viel greife ich ein, damit der Garten noch mein Garten bleibt, und wie viel Laisser-faire ist möglich?
Die eigenen, menschlichen Interessen müssen nicht immer im Mittelpunkt stehen. Dafür nehme ich auch mal etwas in Kauf, zum Beispiel ein paar Raupen am Salat.
GB: Ich bin da ganz bei dir. Selbst mit einer natürlichen Entspanntheit ausgestattet, wurde mein Garten auch schnell zum Lebensraum. Zudem mag ich den Look von Totholz, von dem du eben schon sprachst. Die Leinen los lasse ich aber auch nicht. Was sind denn aus deiner Sicht Eingriffe, auf die wir dennoch nicht verzichten sollten?
IS: Das lässt sich kaum pauschal sagen. Natürlich muss man die Reißleine ziehen, wenn der Bambus ins Fundament des Nachbarhauses wächst. Aber meist geschieht weniger Dramatisches, und dann hängt es vom Garten und der Persönlichkeit ab. Was einem wichtig ist, kann ja ganz unterschiedlich sein. Läuft man gerne barfuß über den Rasen, muss der einigermaßen regelmäßig gemäht werden. Wer seine zarteren Stauden liebt und nicht verdrängt sehen möchte, muss die kräftigen im Zaum halten. Wer Gemüse ernten will, sollte es mit Schneckenzaun und gegebenenfalls Kaninchendraht schützen. Und das Beet frei von Giersch halten. Auch wenn der sich von mir aus anderswo gerne ausbreiten darf: im Gemüsebeet hat er nichts zu suchen, denn da wächst dann irgendwann nichts anderes mehr.
GB: Liebe Ina, herzlichen Dank. War schön, einmal wieder mit dir zusammenzuarbeiten 🙂