„Im Garten spiegelt sich die Welt.“

Bei bestem Sommerwetter treffe ich Wolfgang Borchardt zum Fototermin in Erfurt. Gemeinsam machen wir uns mit seinem Wagen ins Erfurter Umland auf …



Wolfgang Borchardt ist zur Zeit unseres Treffens die letzten Wochen als Professor für Pflanzenverwendung an der FH Erfurt tätig. Seine Lehrtätigkeit – eine Herzensangelegenheit. Aber schon nach kurzer Zeit wird klar, dass sein Interesse an der Welt in seinem Fach vielmehr gipfelt als zu enden. Hinter jeder Kurve auf unserer Fahrt tut sich etwas Neues auf, worüber er zu berichten weiß oder das Anlass dazu gibt, weitere gesellschaftliche Themen anzusprechen.
Im Interview sprechen wir über den in der Diskussion vernachlässigten Aspekt der Gestaltung des Gartenraumes, den Farbaspekt von Pflanzungen, Naturgärten und den Klimawandel.


Lesezeit: 25 Minuten

Interview: Dr. Wolfgang Borchardt, Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Dr. Wolfgang Borchardt ∗ Anke Schmitz ∗ Fotos: Anke Schmitz ∗ Lektorat: Dr. Ruthild Kropp



GB:
Lieber Herr Dr. Borchardt, Sie blicken auf viele Jahre zurück, in denen Sie sich kreativ, wissenschaftlich und als Vermittler mit Gärten auseinandergesetzt haben. Was hat Ihre Leidenschaft für den Garten in all den Jahren so gefesselt?

WB: Es ist oft nicht einfach, die Herausbildung persönlicher Interessen bis zu ihren Ursprüngen zurück zu verfolgen. Farben und Formen in der Natur haben mich schon in jungen Jahren angesprochen. Unterstützung gab es insbesondere durch meine Mutter und einen engagierten Biologielehrer. Die originellen Karl-Foerster-Kataloge mit ihren klugen (und verkaufsfördernden) Sprüchen haben mich für die Vielfalt und Vitalität der Stauden begeistert. Wer sich einmal mit dem Wunder ihrer jährlichen „Wiederauferstehung“ befasst hat, kommt nicht mehr davon los. Um 1900 herum herausgegebene Bände der Mitteilungen der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft weckten mein Interesse an den Gehölzen. Als Schüler habe ich – schulmüde und eher dem „Draußen“ verpflichtet – in einem Naturschutzgebiet mitarbeiten dürfen und schließlich den Beruf des Landschaftsgärtners für mich entdeckt – diese erfüllende Verbindung von Pflanze, Technik, angewandter Naturwissenschaft und Kreativität. Schon als „Lehrling“ hat mich die Gestaltung mit Pflanzen besonders begeistert und daran hat sich bis heute nichts geändert. Für mich war es schwer zu verstehen, dass es hierzu kaum praxistaugliche, verallgemeinerungsfähige Literatur gab. Manche handwerkliche Berufe taten sich damit weniger schwer. Mag Kreativität nicht lehrbar sein, viele Grundlagen sind es doch, weil sie auf Gesetzmäßigkeiten der sinnlichen Wahrnehmung und Pflanzenkenntnissen beruhen. (Erst nach 1990 bin ich in Roland Ulmer einem Verleger begegnet, der sofort meine Intentionen für eine „Gestaltungslehre mit Pflanzen“ verstanden und aufgegriffen hat. In der Folge ist 1997 der „Gärtner 6: Pflanzenverwendung im Garten- und Landschaftsbau“ erschienen.)

Ohne Gartenräume keine Aufenthaltsqualität, keine Inhalte, kein Inszenierungsort für Menschen und Blumen, attraktive Einzelpflanzen und Skulpturen.

GB: Sie haben sich in Ihrem zuletzt erschienenen Buch “Garten Räume Gestalten” ausführlich mit den Prinzipien der Gartenkunst als Raumkunst auseinandergesetzt. In der öffentlichen Diskussion geht es allerdings häufig um das Detail, sprich Arten und Sorten. Warum spricht man so wenig über den Gartenraum? Haben Sie da eine Vermutung?

WB: Karl Foerster wird der Satz zugeschrieben „Gartenkunst ist Raumkunst“. Womit er zweifellos Recht hat. Ohne Gartenräume keine Aufenthaltsqualität, keine Inhalte, kein Inszenierungsort für Menschen und Blumen, attraktive Einzelpflanzen und Skulpturen. Architekturräume, allen voran Kirchen, betreten wir von vornherein andachtsvoll, mindestens neugierig. Wohnräume sind immer spannend. Im Garten scheint der Raum keine Rolle zu spielen: Zuerst die Blumen, der größte je dagewesene Kohlkopf, die neue Outdoor-Küche. Bücher über die Gestaltung von Gartenräumen gibt es (fast) nicht. Auch in den unzähligen Gartenzeitschriften ist der Raum ein Randthema. Gartenraum wird, denke ich, nicht bewusst wahrgenommen. Das liegt wohl zum einen daran, dass er im Gegensatz zu Architekturräumen nach oben offen, zum anderen, dass er in vielen Gärten nicht vorhanden ist und damit nicht erlebt werden kann. Auch der „Geist des Ortes“ – sonst durchaus spürbar und uns in „guten“ Gärten zum Bleiben zwingend – flieht ungeschützte Räume. Auf Gartenreisen wird die Raumqualität der besuchten Gärten als eindrucksvoll wahrgenommen und die Teilnehmer gewinnen einen Blick dafür. Auch das ist Gartentherapie!

GB: Wann fing man an, den Garten als Raum zu verstehen und zu gliedern?

WB: Die ältesten der überlieferten Gartenpläne – etwa des Klosters St. Gallen um 820 – zeigen ganz der Fläche verhaftete Nutzgärten. Die Beet- und Wegeeinteilungen liefern die Flächenstrukturen. Räume brauchen Wände und für die ist ebenso wenig Platz, wie für die damit verbundenen, ertragsmindernden Schattenflächen. Schattenbaum? Fehlanzeige. Hier stehen Arbeit und Ernährung, nicht Aufenthaltsqualität im Vordergrund. Anders eine deutlich spätere, aus dem 14. Jahrhundert stammende Miniatur zu Boccaccios „La Teseida“. Sie zeigt eine junge Frau, die durch ein mit Rosen besetztes Rankgerüst „Rückendeckung“ erhält. Mit dem Wunsch nach Aufenthaltsqualität ist offensichtlich der nach geschützten, durch Wände begrenzten Räumen verbunden. Schließlich verbringen wir den Großteil unseres Lebens in „wohnlichen“ Räumen. Wo wir keine finden, suchen wir welche zu schaffen (Zelt, Strandburg, Wohnmobil). Hinzu kommt wohl der Wunsch, den Wohnungsgrundriss ins „Offene“ zu übertragen, den Garten als erweiterten Wohnraum zu definieren. Für „Wohnlichkeit“ sorgen dem menschlichem Maß entsprechende Raumproportionen. Das ist jedenfalls die Idee, der die Wirklichkeit unserer Eigenheimsiedlungen hinterher hinkt.

GB: Barock – und Landschaftsgarten inszenieren den Raum auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Was passiert in diesen beiden doch recht unterschiedlichen Gestaltungsstilen mit dem Gartenraum und inwieweit ändert sich dadurch die Raumqualität für den Besucher?

WB: Lassen Sie mich mit dem Barockgarten beginnen. Er war nicht nur zuerst da, er hat uns auch mehr zu sagen, als man auf den ersten Blick vermutet. Der Barockgarten, der nicht nur Garten ist, vielmehr im Kontext mit barocker Musik und Architektur, höfischen „Events“ und opulenten Festgelagen gesehen werden muss, war ein schwergewichtiges Gegenstück zur Welt „draußen“ mit ihren ewigen Fährnissen und Kriegen. Deshalb auch die klar gezogenen Grenzen zur Landschaft, in die nur an ausgewählter Stelle ein Blick gestattet wird („Aha“).  Absolutistischer Machtanspruch wird durch eine strenge, mit korrektem Formschnitt verbundene Symmetrie bis in die letzte Pflanze durchgesetzt. Der Barockgarten bietet keinen Zentimeter Raum für Inkonsequenz. Diese Erkenntnis sollte uns bei allen Gestaltungsvorhaben mit Pflanzen begleiten. Sie bedeutet uns, immer am Thema dranzubleiben. Wege- und Blickachsen, gewöhnlich geradlinig, sind im Barockgarten identisch. Mindestens die nicht durch Schnitthecken begrenzten zentralen Gartenflächen sind auf einen Blick erfassbar. Das Weinglas in der Hand, kann das von einem Balkon aus geschehen, ohne besondere Aufmerksamkeit. Die darf weiterhin dem Gespräch gelten. Anders im frei gestalteten Landschaftsgarten. Hier schwingen Wege um Blickachsen, die – durch Gehölzkulissen gefasst – nur an den Schnittpunkten beider sichtbar werden und dem Unachtsamen auch entgehen können.  Allerdings bereitet es Freude, wenn Besucher solche Entdeckungen gemeinsam machen und einander mitteilen. Um diesen Wechsel der Räume und Szenerien erleben zu können, müssen sie losgehen. Im Gegensatz zum Barockgarten eine aktive, „dynamische“ Angelegenheit.

GB: In welcher Form kamen vielleicht später neue Impulse hinzu?

WB: Moderne Gartenarchitektur schöpft aus allem, was war. Insofern kann immer wieder Neues aus der Verquickung verschiedener, bislang historisch streng getrennter Raumtypen entstehen. Nichts ist spannender als der Gegensatz von Disziplin und Spontanität, von Ordnung und Chaos. Damit ist auch der Gegensatz von barocker Geradlinigkeit und freier Gestaltung gemeint. Verwirrend ist das nicht. Die fest umrissenen Konturen von gebauten Kanten und formgeschnittenen, gar symmetrisch angeordneten  Pflanzen sind immer prägnanter und ranghöher als die halbdurchsichtigen Kronen locker gestreuter Birken. Heckenkompartimente auf streng geometrischem Grundriss können in spannungsvoller Gruppierung frei verteilt werden. Ob so oder formal gerastert, in jedem Fall ein wunderbares Spannungsfeld, wenn lichtkronige Bäume gegensätzlich frei angeordnet darüber stehen. Zwei raumbildende und gliedernde Prinzipien verteilt auf zwei „Stockwerke“. Heute treffen wir immer wieder auf die Verbindung von regelmäßig abstandsgleich gerasterten, dem Renaissancegarten entlehnten Pflanzmustern mit dem symmetrischen Ordnungsprinzip des Barockgartens und freien, spannungsvoll geordneten, wenn nicht gar „wilden“ Pflanzbildern.  Und das innerhalb einer Pflanzung!

Ob der Garten als „groß“ oder „klein“ empfunden wird, wird weniger von seiner Ausdehnung, als von seiner Raumgliederung bestimmt.

GB: Könnte man vielleicht sagen, das Ziel einer gelungen Raumeinteilung in einem kleinen Garten sollte sein, die Zeit zur Erkundung des Gartens auszudehnen?

WB: Nehmen wir einen Aussichtsturm: Hier bekomme ich alles auf einmal serviert. Aber es gibt auch eine Menge zu sehen. Das ist im kleinen Garten nicht der Fall. Deshalb gilt es, das Wenige noch zu portionieren. Eine Kette aufeinanderfolgender Teilräume mit jeweils unterschiedlichen Inhalten überrascht und nötigt Zuwendung ab. Die lässt uns immer wieder innehalten und weckt den Eindruck, einen sehr viel größeren Garten gesehen zu haben. Aus dem einfachen „Wohnraum im Freien“ wird etwas (scheinbar) Großes mit vielen „Zimmern“. Ob der Garten als „groß“ oder „klein“ empfunden wird, wird weniger von seiner Ausdehnung, als von seiner Raumgliederung bestimmt. Ob eng gekurvt oder geradlinig, Platz sparende Raumbegrenzungen  – Schnitthecken, Sichtschutzwände – gestatten auch im kleinen Garten die Aufteilung in Teilräume mit Erlebnis- und Aufenthaltsqualität. Es sind gerade die kleinen Gärten, die von diesem Vorgehen profitieren. Und schließlich ist da die „große Diagonale“ – eine gedachte Linie durch den Garten – , die die größte Raumtiefe erschließt; sei es durch längs dieser Linie aufgereihte Einzelräume oder eine diese Linie aufgreifende Sichtachse zwischen frei angeordneten Gehölzen. Das gilt im kleinen wie im großen Garten, etwa im Muskauer Park. Wie sich überhaupt Prinzipien der Raumbildung im klassischen Landschaftspark am besten studieren lassen. Aber oft fällt die Übertragung in den kleineren Maßstab des Gartens schwer, obwohl das mit anderen und geschnittenen Pflanzen gut gelingen kann.

GB: Ist die Raumqualität zu planen ein Talent, das ich mit Glück besitze, wenn ich ein Feeling für Proportionen habe, oder kann ich das erlernen?

WB: Sicher hat jeder von uns ein Raumgefühl, das sich einstellt und Wohlbefinden oder Unbehagen auslöst. Da muss man nicht drüber nachdenken. Genauso, wie die Koch-, Brat- und Backzutaten nur für kulinarisch besonders Interessierte wichtig sind, wenn es nur geschmeckt hat. Entweder ich komme wieder oder eben nicht (in das Restaurant). Anders, wenn ich selbst tätig werden und Räume schaffen möchte, in denen sich Menschen aufgehoben fühlen. Dann wird das „Wie“ wichtig. Voraussetzung ist Wissen, das erlernt werden kann. Was bedeutet „Raumqualität“? Die hat etwas mit Proportionen, mit dem Verhältnis von Wandhöhe und eingeschlossenem Raumboden zu tun. Ist das zu eng, zu weit oder wohnlich? Lang gestreckte („gerichtete“) Räume haben gewöhnlich ein Ziel, aber keine Aufenthaltsqualität. Die wächst mit der Annäherung an einen quadratischen Grundriss. Frei und breit wachsende Hecken können später den Raum unliebsam einengen. Darf es größere Öffnungen geben, die die Intimität des Raumes aufheben? Wie dicht darf oder soll die Rahmenpflanzung sein? Dunkle Farben und große Blätter engen den Raum ein und umgekehrt. Räume brauchen Inhalte. Weder der leere, noch der zugestellte Raum können Erlebnisqualität, Struktur und Orientierung bieten. Hier spielen Einzelobjekte, seien es Solitärgehölze in angemessener Größe oder Skulpturen eine wesentliche Rolle und bedürfen entsprechend sorgfältiger Auswahl und Platzierung. Der Verlauf Räume verbindender Wege ist ebenso wichtig wie die Gestaltung der Übergänge von Raum zu Raum. Leider kann das spannende und komplexe Thema hier kaum mehr als angedeutet werden. Klar ist nur: Die wirkungsvolle Gestaltung von Freiräumen braucht Wissen.

GB: Was sind die aus Ihrer Sicht wichtigsten gestalterischen Regeln für den Gartenraum, nachdem für die Gemeinschaft bereits festgelegt hat, wie sie diesen nutzen möchte?

WB: Tatsächlich mag sich in dieser Angelegenheit eine gewisse Hilflosigkeit einstellen. Auch hier gilt „gewusst wie“. Ziel ist, das vorhandene Potenzial – Flächen, Boden, Vegetation, Licht, Aussichtspunkte, Einflüsse von außen, Anbindung an Terrasse und Gebäude – mit den Nutzungswünschen in Deckung zu bringen; vielleicht sogar mit dem Blick in die Zukunft: Was kann aus dem Spielplatz für Kinder oder Enkel später mal werden? Gelegentlich sind spezielle Wünsche zu berücksichtigen, etwa ein Yoga-Platz in der Morgensonne. Sitzplätze kann man nie genug haben, natürlich mit unterschiedlichen Perspektiven und Lichtkonstellationen. Es lohnt sich, den Garten ringsum abzugehen. Meist wird man Potenziale für weitere Sitzplätze entdecken. Zuerst sind die unverrückbaren Punkte festzulegen, etwa solche mit Fernblick oder Gebäudezugänge, Terrasse. Die Wunschliste wird auch den Flächenbedarf für etwa den Kräutergarten und dafür nötige Wuchsbedingungen enthalten. Ob am PC oder mit Papier, kann nun hin und her „geschoben“ werden, bis der bestmögliche Platz gefunden ist. Hier werden sehr schnell Proportionen deutlich, vielleicht auch die enttäuschende Erkenntnis, dass selbst das Kleinsportfeld alles andere an den Rand drängen würde und besser weg bliebe. Mit solch tragfähigem, mit allen Beteiligten besprochenem Konzept wird jeder noch so kleine Schritt zielführend sein. Jetzt eine tröstliche Botschaft: Wenn das Konzept stimmt, kann die Arbeit auf Jahre verteilt werden. Nur eines duldet keinen Aufschub: Zunächst ist es wichtig und möglich, die Raumwände zu pflanzen oder zu bauen, die die Teilräume voneinander trennen sollen. Höhe und Blickdichte sind hier die wichtigsten Kriterien. So wachsen Räume, die Schritt für Schritt ausgestaltet werden können.

GB: Sie sprachen gerade von den Proportionen, die stimmen müssen. Gibt es vielleicht weitere Fehler, die sich leicht vermeiden lassen?

WB: Wenn es Fehler gibt, muss es etwas „Richtiges“ geben. Das Richtige entwickelt sich aus der Situation, die Botschaften für uns bereithält. Die nicht konsequent genug ausgeschöpft zu haben, ist mindestens ein Mangel. Und zwar deshalb, weil unsere Erlebnisfähigkeit nicht in dem Umfang ausgeschöpft wird, wie es möglich gewesen wäre. An dieser Stelle erinnere ich gern an Gabriel Laub: „Kreativität ist Logik, die Mut hat.“ Wer aus einer feuchten Gartensenke nicht mehr macht, hat den Handschuh nicht aufgehoben. Das ist wahlweise eine Unachtsamkeit, ein Mangel und vielleicht auch ein Fehler. Für Nachkommende eine Freude, das zu heilen. Zu den „richtigen“ Fehlern gehört alles, was die ästhetische Eigenart einer Pflanze zerstört. Dazu können unpassende, gestaltlich konkurrierende Nachbarn ebenso beitragen wie ungeeignete Bodenverhältnisse, „Pflege“maßnahmen und Klimabedingungen. In den gängigen Fehlerlisten rangieren die Farben weit oben: Das geht nicht mit dem. Aber „das“ geht alles, wenn es geeignet ist, die beabsichtigte Botschaft zu vermitteln. Eine schicke Ton-in-Ton-Pflanzung ist dann falsch, wenn es wie „Chaos“ aussehen soll. Zudem sind bewusste Falschmeldungen ein probates Mittel, um Interesse nicht nur zu erwecken, sondern zu erregen. „Haben Sie schon gesehen? Da passt ja gar nichts! Diese furchtbaren Farben! Das müssen Sie gesehen haben! Vielleicht hole ich mir das Eintrittsgeld zurück.“   

GB: Kann ich den Raum als Rhythmus und die Farbe im Garten als Melodie bezeichnen?

WB: So sollte es sein, erfüllt sich aber nicht im Selbstlauf. Eine lange, ungegliederte Heckenlinie ist nicht nur langweilig, lässt vielmehr auch Perspektiven und den Rhythmus ungenutzt. Rhythmus ist Ausdruck pulsierenden Lebens. Ohne ist eine Pflanzung mindestens scheintot. Hier braucht es Vorsprünge und Einzüge, die Raumtiefe schaffen und den Rhythmus vorgeben für die Melodie der Farben, die den Raum füllen und vor monochromen Raumwänden – etwa Mauern oder der einheitlichen Schnitthecken –  besonders zur Geltung kommen. Und dann ist da noch etwas mehr. Farbe ist keine Zutat zum Raum. Farbe und Raum sind untrennbar. Räume sind nur bei Licht wahrnehmbar und mit dem Licht tauchen Farben, mindestens Schatten auf. Insofern wird die Farbgestaltung nicht nur der Beetpflanzungen, vielmehr auch der Raumwände selbst wichtig. Die Verwendung leuchtkräftiger und warmer oder gedämpfter und „langsamer“  Farben in Vorder- und Hintergrund bestimmt den Raum, insbesondere seine scheinbare Ausdehnung wesentlich. Farben erzeugen Stimmungen und unterstützen Funktionen im Raum. Folgen farbverschiedener Innenräume hat Walter Gropius inszeniert. Im Garten ein eher selten ausgeschöpftes Thema. Geht es darum, bestimmte Farbeindrücke über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten, haben wir es mit den uns zur Verfügung stehenden Pflanzen wesentlich schwerer als ein mit Farbtuben ausgestatteter Maler. Immerhin hat sich der gartenbegeisterte Monet mit seinen Farbkastenbeeten daran versucht.

Gute Pflanzenverwendung bringt das ästhetische Potential der Einzelpflanze – gewöhnlich im Kontext einer Pflanzenkomposition – zur Geltung.

GB: Wie bestimmt die Pflanzenauswahl unser Urteil über die ästhetische Qualität eines Gartens?

WB: Wo beginnen? Lassen Sie mich überlegen. Zunächst das Grundsätzliche: Gute Pflanzenverwendung bringt das ästhetische Potential der Einzelpflanze – gewöhnlich im Kontext einer Pflanzenkomposition – zur Geltung. Das ist schon mal nicht einfach, denn „Das Äußere einer Pflanze ist nur die halbe Wahrheit“ meinte Goethe (und hatte dabei vermutlich nicht nur Pflanzen im Sinn). Insbesondere das art- und sortenspezifische Anpassungsvermögen, ebenso erwünschte oder lästige Ausbreitungsstrategien stehen der Pflanze nicht in die Blüte geschrieben und können eine Pflanzung scheitern lassen. Dagegen helfen nur Pflanzenkenntnisse, Ausprobieren, Erfahrungen. Zusammengenommen geht es um Anwendungskompetenz. Eine Pflanzung muss sich dem Betrachter erschließen, sonst ist er nicht zufrieden und fühlt sich alles andere als bereichert. Der bildenden Kunst ist das egal, aber wir arbeiten für Menschen, die uns Vertrauen entgegen bringen und denen wir uns verpflichtet fühlen. Warum spricht uns diese Pflanzung an, jene nicht? Das lässt sich an Prüfparametern festmachen: Sind Rangordnung, Wirkungssteigerungen durch Kontrastsetzungen oder variierte Wiederholungen und Rhythmus vorhanden, kann eine Pflanzung selbst ohne auffällige Farbgebung sehr gut aufgestellt sein. Die Muster sind es, nach denen unser Auge seit Urzeiten sucht. Wichtig auch das „Entdeckererlebnis“:  Wenn ein gelbgrüner Frauenmantel sich nach oben in einem gelbblättrigen Hopfen fortsetzt, der wiederum zu einem fahlblau gestrichenen Rankgerüst kontrastreich steht, ist nicht nur die Wirkung da, vielmehr auch eine Absicht erkennbar. Die entdeckt zu haben, kann Glücksgefühle auslösen.

GB: Wie gehen Sie ganz konkret an eine Pflanzplanung heran? Gibt es da etwas grundsätzlich Anwendbares?

WB: Es ist nicht die Lieblingspflanze, die am Anfang einer überzeugenden  Pflanzplanung steht. Funktion, Botschaft, angestrebtes Pflanzbild sind der Ausgangspunkt, flankiert von ersten Ideenskizzen, die auch am Ort Vorgefundenes aufgreifen, sei es die Farbgebung eines Gebäudes oder der schon vorhandene Baum. Die Suche nach den Pflanzen, die geeignet sind, unsere Botschaft zu übermitteln, beginnt mit der Formulierung von Auswahlkriterien. Die ergeben sich aus dem, was wir mit der Pflanzung erreichen wollen. Auswahlkriterien sind uns vertraut, wir formulieren sie sogar im Kreis der Familie, wenn es um den Kauf eines Hauses oder einer Waschmaschine geht. Bei der Partnerwahl ist die Liste unverzichtbarer Kriterien besonders lang. Nur in der Pflanzenverwendung, da nehmen wir die, die wir schon immer genommen haben. Nicht nur unverständlich, sondern auch respektlos gegenüber den Auftraggebern und dem Potenzial, das im Ort künftiger Gestaltung steckt. Mindmapping ist eine hervorragende Hilfe, um Ideen zu generieren. Über Tage hinweg kommt man vom „Hundertsten ins Tausendste“ und kann zum Schluss sagen, warum genau dieser Baum an genau dieser Stelle stehen muss. Kein Auftraggeber wird sich solchen Argumenten entziehen können!

GB: Das klingt auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Genius loci. Ein wenig auch nach Anstrengung. Sollte der Garten nicht überwiegend ein Ort des Genießens sein? Schließlich wird immer nach dem „pflegeleichten Beet“ gesucht?

WB: Tatsächlich wird die Frage nach dem „pflegeleichten Garten“ bis zum Überdruss gestellt und mündet im schlimmsten Fall im Schotterbeet, das sich auf Dauer auch nicht als „pflegeleicht“ erweist. (Die Gestaltung überzeugender Schotterbeete ist im Einzelfall zu sinn- und anspruchsvoll, als dass es jeder erledigen könnte.) Es ist die verbreitete Geringschätzung des Gartens, die Zeit und Zuwendung lieber anderen Dingen zugesteht. Dass die achtsame, gestaltende Zuwendung zu Gärten und Pflanzen etwas zurückgibt – Erlebnisse, Erkenntnisse, Ruhe und Ausgleich – muss wohl erst erfahren, wenn nicht gar erlernt werden. Der unter Anleitung qualifizierte Gartenbesitzer könnte in Gartenberatungen besser mitreden, mehr Aufträge auslösen und das Niveau der Gärten heben helfen, weil er nicht mehr zufrieden ist mit dem, was er hat. Selbstverständlich heißt „Garten“ auch genießen. Genießen kann von Stimmungen, vom Naturerlebnis bis zum Verzehr des im eigenen Garten erzeugten Obstes reichen. Aber auch Genießen will gelernt sein. Das kann Ihnen jeder Koch, Sommelier und Erotikberater gut erklären. Wer gelernt hat, Holzverbindungen zu erkennen wird – allein schon durch das „Entdeckererlebnis“ – mehr Freude bei der Betrachtung eines schönen Fachwerkhauses haben. Warum soll das nicht für den Garten gelten? Für den Garten gibt es die zahlreichen und wenig abverlangenden Coffee-Table-Books und Magazine, die ihre Anstrengung in die Farben der Fotos legen. Ich denke, gerade der Garten ist ein Ort der Visionen. Sie Realität werden zu lassen, erfordert zielgerichtetes, manchmal auch anstrengendes Tun. Das braucht Wissen. Das zu erwerben, ist nicht anstrengend, wenn uns die Neugier treibt.

GB: Joachim Hegmann zitierte Ihren Ausspruch, dass das I-Pünktchen einer Gestaltung am Ende des Tages eine Provokation sei. Was steckt in diesem Satz und was genau kann alles Provokation sein?

WB: Schön, dass sich Herr Hegmann daran erinnert. Für mich als Lehrer ist es ein großes Geschenk, wenn sich Seminarteilnehmer (wie er einer war) Anregungen so zu Herzen nehmen und ebenso begeistert wie eigenständig und erfolgreich umsetzen. Seine Wandlung vom Chemiker zum Pflanzplaner war für mich ein besonderes Erlebnis. Allerdings weiß nur er allein um die geheimen Beziehungen zwischen beidem (Goethe würde widersprechen). Doch nun zurück zur „Provokation“! Im einfachsten Fall werden Lieblingspflanzen gesammelt. Das ist noch nicht provokativ und entsprechend weit verbreitet. Es folgt die Erkenntnis, dass die Wirkung der Lieblingspflanzen wächst, wenn ich ihnen geeignete Nachbarn gebe. Bekannt sind die Begleitpflanzen für Rosen. Diese „Stufe der Zuordnung“ ist für Pflanzensammler wichtiger, als sie glauben. Schließlich schaue ich über den Beetrand hinaus, um vorhandene Dinge, im besten Fall innerhalb der Pflanzung, zu interpretieren. Etwa, wenn die Randbegrenzung eines Beetes die Kontur einer angrenzenden Treppenwange aufgreift. Das Ergebnis überzeugt, weil es „wie aus einem Guss“ wirkt. Jetzt ist es Zeit, über ein provozierendes Detail nachzudenken. Aus der „Reihe tanzend“ weckt es Widerstand. In der frühlingsfrischen Pflanzung kann die einzelne rote Tulpe doch nur eine dringend zu entfernende „Falschfarbe“ sein? Nein – ihre Gegensätzlichkeit fordert Aufmerksamkeit für die Pflanzung ein, deren Grundthema sie gleichzeitig noch einmal unterstreicht, ohne es in Frage zu stellen. Etwas „Falsches“ hinzuzufügen ist ein Mittel der Provokation, ein anderes das Weglassen von etwas, das erwartet wird und dazugehören sollte. Etwa das in einem regelmäßigen Rhythmus gleich geformter Beete fehlende Einzelbeet. Provokation ist nichts, was immer passt. Aber es ist sinnvoll, immer diese Option zu prüfen.

Was ist Natur? Sie ist in uns und um uns, wird aber landläufig gern auf blühende, von Faltern und Bienen umschwebte Wiesen reduziert.

GB: Ich hörte Sie immer wieder von “Aspektpflanzungen“ sprechen. Ich habe nicht genau verstanden, was dieser Begriff meint?

WB: Kaum jemand, der sich nicht an eine blühende Löwenzahn-Wiese erinnern könnte: Alles gelb. Damit ist schon (fast) alles gesagt. Aber von vorn: In der Vegetationsökologie gilt der Begriff des „Aspektes“ für einen Zeitabschnitt, in dem wenige Pflanzen mit ihren Farben das Vegetationsbild prägen. Neben Blühfarben spielen natürlich auch die Farben insbesondere der Herbstblätter eine Rolle, in Einzelfällen ergänzt um prägnante Formen. Ich erinnere an Fingerhüte, Steppenkerzen oder Kugeldisteln. Der Wirkung vermag sich kaum jemand zu entziehen. Dabei ist die Planung nicht schwierig. Es ist nur nötig, dran zu denken und die als „Aspektbildner“ ausgewählten Pflanzen in ausreichender Stückzahl einzubringen. Für den Winterausgang  Zwiebel- und Knollenstauden (Frühjahrsgeophyten) einbeziehen! Jeder Aspektbildner regiert in einem begrenzten Zeitfenster, andere könnten weiterführen – ob in ähnlicher oder anderer Farbgebung. So kann eine Folge von Aspekten gestaltet, etwa Staudenmohn durch Akanthus abgelöst werden.

GB: Naturnahe oder gar ’naturalistische‘ Pflanzungen sind in aller Munde. Wie so häufig – gehört ist nicht verstanden – mag sich jeder etwas anderes darunter vorstellen. Wie denken Sie darüber?

WB: Was ist Natur? Sie ist in uns und um uns, wird aber landläufig gern auf blühende, von Faltern und Bienen umschwebte Wiesen reduziert. Natur auf dem einsamen, vereisten Berggipfel ist den meisten doch zu nah. In der gärtnerischen Praxis sind meist bestimmte, als idyllisch empfundene Pflanzbilder, häufig Gegenstücke zu Stadt und Lärm gemeint. Oft wird kräftig nachgeholfen, um etwa den ebenso obligatorischen wie meist deplatzierten „Biotop“ zu schaffen. An der Natur dran sein, das bedeutet, nicht anstrengend gegen sie, sondern mit ihr zu arbeiten. Belohnt werden wir mit individuellen, obendrein „pflegearmen“ Pflanzbildern. Selbst mit Giersch ist Freundschaft möglich, wenn man weiß, wie es geht. Platz für die zwischen Pflasterfugen passenden Pflanzen, Freude am Lebendigen zwischen dem Gebauten, sinnvollere Verwendung schweißtreibender Arbeitsstunden. Die Beratung kommt meist zu spät. Schon wurde der „Mutterboden“ bestellt und aufgebracht. Das Potenzial des vorhandenen Bodens bleibt unbeachtet und ungenutzt. Das mag dann richtig sein, wenn es trotz magerer Böden ein pflegeaufwändiger Rosengarten werden soll. Sicher nicht für „naturnahe“ Wildrosen, die hätten die aufwändige Bodenvorbereitung nämlich nicht gebraucht. Naturnähe bedeutet standortgerechte Pflanzenverwendung. Die kommt noch vor der Gestaltung, weil die ohne standortgerechte Pflanzen nicht funktioniert.

Die Klimaerwärmung schwächt gerade unsere wenigen Baumarten.

GB: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie also diese doch recht radikale Abwendung von Exoten, die in der Naturgartenszene kursiert, relativiert betrachten?

WB: Pflanzungen müssen funktionieren, andernfalls wären Erhaltungsaufwand und Frust die Folge. Nur standortgerechte Pflanzungen funktionieren. Nun ist der „Standort“ ein komplexes und sich veränderndes Gefüge. Wir registrieren Klimaveränderungen, die sich möglicherweise rascher vollziehen als bisher. Das ist auch für heimische Pflanzen neu und eine Herausforderung, auf die sie unterschiedlich reagieren. Die Klimaerwärmung schwächt gerade unsere wenigen Baumarten. Hierdurch begünstigten Schadinsekten und Krankheiten haben sie damit wenig entgegenzusetzen. Nicht nur die alljährlichen Waldschadensberichte, auch Waldspaziergänge belegen das. Sogar neue Pflanzengesellschaften sind im Entstehen, zum Teil mit ursprünglich fremdländischen, nunmehr eingebürgerten Arten, etwa der Robinie. Unser Wald einschließlich seiner Krautvegetation wird künftig anders aussehen.  Das Festhalten am Bestehenden ist nicht nachhaltig, wenn die Bedingungen sich verändern. Der Begriff des „Heimischen“ bezieht sich auf Ländergrenzen und übersieht, dass Natur global agiert.

GB: Welche Vorurteile sehen Sie hier von Seiten mancher aus der Naturgartenszene?

WB: Gern werden heimische Pflanzen als besser geeignet dargestellt, weil sie widerstandsfähiger als fremdländische seien. Das dem nicht so ist, belegen Stadtbäume. Im extremen Stadtklima, das es in der Landschaft für heimische (Wald-)Bäume nicht gibt, bestehen fremdländische Arten überwiegend besser. Gleichzeitig wird der Besorgnis Ausdruck verliehen, dass „Exoten“ heimische Arten verdrängen, was eher selten passiert (wie Rhododendron in Irland). Ausrottungsfeldzüge verursachen hohe Kosten und sind meist vergebens. Unter den für sie optimalen Wuchsbedingungen sind auch heimische Brennnesseln und Giersch nicht zu schlagen und meist nicht willkommen.

Heimische Vegetation ist überall dort vorzuziehen, wo sie den geforderten Aufgaben gerecht werden kann.

GB: Die Angst scheint ja häufig zu sein, dass sich die heimische Fauna schlecht an die sich verändernde und als exotisch bezeichnete Flora anpassen kann …

WB: Schon vor 100 Jahren wurde heiß gestritten, ob der heimische Stieglitz bereit sein könnte, auf der fremdländischen Robinie sein Nest zu errichten (er tut es). Auch wer behauptet, dass fremdländische Pflanzen heimischen Insekten nichts zu bieten haben, darf um mehr Achtsamkeit gebeten werden. Viele in die heimische Gartenkultur eingeführte fremdländische Stauden und Gehölze bereichern den Trachtkalender und verlängern ihn bis in den Spätsommer und Frühherbst. Der erst im Oktober blühende heimische Efeu ist da eher die Ausnahme. Der Japanische Schnurbaum Styphnolobium japonicum ist ein Hochsommer-Bienenbaum, der mit Hitze, Sonnenstrahlung und Trockenheit gut zurechtkommt. Die ostasiatische Duftesche Tetradium daniellii blüht erst ab Juli bis September und ist der „Bienenbaum“ schlechthin. Schon an den noch nicht ganz geöffneten Blüten stehen Insekten „Schlange“. Diese Beziehungen sind insbesondere im Stadtklima  wichtig, wo die meisten der heimischen Baumpartner kränkeln. Nicht so der heimische Feld-Ahorn, der in verschiedenen Sorten – auch kugel- oder säulenförmig wachsend – einer glänzenden Zukunft als Stadtbaum entgegensieht. Mit `Barbarossa` gibt es sogar eine rotblättrige Sorte.

GB: Dieses Bienenthema ist ja mit viel Emotion aufgeladen. Soweit ich weiß, gilt die Sorge der Naturschützer nicht der Honigbiene, die aktuell einen regelrechten Boom hat, sondern den Wildbienen, von denen eine Vielzahl als Spezialisten auf spezielle “heimische” Arten angewiesen sind, um ihre Brut zu versorgen. In dem Zusammenhang wird die Honigbiene ja sogar häufig als Konkurrenz, weniger als mögliches Back up zur Wildbiene verstanden … das ist eben das viel verwendete Argument für die “heimische” Flora. Welche guten Gründe gibt es aus Ihrer Sicht für eine Verwendung von Kulturpflanzen?

WB: Die Ablehnung von Kulturpflanzen einschließlich der Sorten heimischer Pflanzen bedeutet auch, die Leistungen einer jahrhundertealten Gartenkultur abzulehnen. Gewöhnlich zieht man aber doch `Cox Orangen` einem Wildapfel vor. Und (südamerikanische) Kartoffeln sind von unserer Speisekarte schlecht wegzudenken. Es sind auch die „Exoten“, die in städtischen Grünanlagen, insbesondere auf Friedhöfen und Parks Artenvielfalt und Biodiversität stärken. Die ist dort mittlerweile meist größer als im intensiv agrarwirtschaftlich überprägten Umland. Wie so häufig, geht es auch hier um Balance. Heimische Vegetation ist überall dort vorzuziehen, wo sie den geforderten Aufgaben gerecht werden kann. Extremstandorte verlangen ein größeres Artenspektrum, um das Ausfallrisiko zu streuen und Nachhaltigkeit zu sichern. Übrigens: Ein unlängst in „Naturschutz und Landschaftspflege“ veröffentlichter Forschungsbericht hat gezeigt, dass auf heimischen und fremdländischen Stadtbäumen die gleichen Insekten zu finden waren. Die Mischung macht`s!

Sich achtsam der eigenen Flora zuzuwenden, entspricht wohl wenig dem Trend nach mehr. Der starke Eindruck wird gesucht.

GB: Im Fall des Apfels bin ich noch ganz bei Ihnen, allerdings verlieren Sie mich bei dem Gedanken an die ein oder anderen Sorte, bei der mir auch mal der Begriff der Qualzucht in den Sinn kommt, z.B. wenn sich die Pflanze von Haus aus generativ nicht mehr vermehren kann, weil kein Tier was damit anzufangen weiß, ein Gras, das ohne auskämmen verunkrautet, oder eine Rose, die ohne Herbizideinsatz ab Juni kahl wäre. Ich oute mich mal als Fan von Pflanzen, die ich in der Landschaft um mich herum finden kann. Da weiß ich, die kommen hier bei mir klar. Das sind zum Teil dann eben auch Neophyten. Mit diesen könnte man auch versuchen zu arrangieren und experimentieren.

WB: Selbstverständlich kann es auch reizvoll sein, einen Garten ausschließlich „heimisch“ zu gestalten. Es wird interessant sein zu beobachten, wie die konkreten Wuchsbedingungen am Pflanzplatz die Konkurrenzkraft verschiedener Arten stärken oder schwächen und welche Verschiebungen sich daraus ergeben. Aber ist es Sinn eines Gartens, der nicht „freie Natur“ ist und es nie war, Natur zu etablieren? Oder doch eher, Natur zu interpretieren? Interessant deshalb, wie ein ästhetischer Mehrwert erzielt werden kann. Auch heimische Arten können als „Aspektbildner“ die Pflanzung in Zeitabschnitten farblich dominieren und  eindrucksvolle Pflanzbilder schaffen.

GB: Warum passiert das trotzdem eher selten bzw. wenig? Ist uns das nicht markant genug? Zu wenig spektakulär? Ertragen wir keine Phase ohne Highlight? Oder gehört das als klassisches Gartenthema eben in den Bereich der Interpretation der Natur, wie Sie es eben schon zur Diskussion stellten? Oder ist das nicht purer Luxus, auf den Garten, der in erster Linie als Lebensraum konzipiert wurde, zu verzichten?

WB: Möglicherweise haben Sie die Antwort schon vorweggenommen. Der Naturgartentrend wird zwar viel beschworen, spiegelt sich im Kaufverhalten der Gartenbesitzer aber so nicht wieder. Sich achtsam der eigenen Flora zuzuwenden, entspricht wohl wenig dem Trend nach mehr. Der starke Eindruck wird gesucht. Um subtile Schönheit oder „langsame“ Farben wahrzunehmen, fehlt oft die Zeit. Beides ist auch weniger gut vorzeigbar. Immerhin haben viele Gärten auch Repräsentationsansprüchen zu genügen. Die Schönheit einer heimischen Klette oder Weber-Karde anzuerkennen fiele leichter, wenn es sich um amerikanische Präriestauden handelte. Stattdessen lieber die Magnolie mit den Riesenblüten („Meganolia“). Immerhin ist das Interesse an Ziergehölzen aus anderen Weltgegenden berechtigt, denn hier sind wir von Natur aus sehr mager ausgestattet. Durch die während der Eiszeiten sowohl von den südlich quer liegenden Alpen, als auch von Norden heranrückenden Gletscher ist die voreiszeitliche Artenvielfalt weitgehend ausgelöscht worden. Da war das Interesse an Gehölzeinführungen aus dem östlichen Nordamerika und ostasiatischen Florengebieten mit vergleichbarem Klima groß. Eine Bereicherung, was die Zahl der immergrünen, spät blühenden, blau blühenden/fruchtenden, rot blühenden, rot herbstfärbenden, standorttoleranten und insektenfreundlichen Arten angeht. Und die Neugier bestimmt nach wie vor die Gartenmärkte. Nur Eingeweihte wissen, dass es sich bei manchen „Neuheiten“ um Altbewährtes in neuer Verpackung, das heißt neuem Namen handelt. Da wird eine Felsenbirne mit ihren essbaren Früchten zum „Pralinenstrauch“ und der alten Ballhortensie  ‘Bouquet Rose‘ (1907) – blühend von Juni bis September – wird in der ‘Endless Summer‘-Familie neues Leben eingehaucht. Das hat Oliver Kipp herausgefunden und unlängst berichtet.

Krisen werden politisch nicht nur positiv genutzt.

GB: Ach spannend, das die ‘Endless Summer’ Hortensie eine Neuauflage ist, wusste ich nicht. Ich möchte aber doch nochmal nachhaken. Auch wenn Sie vom Garten als Ort der Naturinterpretation sprachen, was wohl als künstlerischer Zugang zum Gartenthema zu verstehen ist, mussten viele gerade auch öffentliche Gartenflächen in Kriegszeiten zweckentfremdet zum Gemüseanbau genutzt werden. Jetzt spricht alle Welt von Klimaerwärmung, schrumpfenden Habitaten, Arten- und Insektensterben. Es geht mir dabei um Ihre Einschätzung, was die Brisanz der Situation anbetrifft. In den Medien wird da ja aktuell viel Panik gemacht. Meinen Sie persönlich, mit all Ihrer langjährigen Erfahrung und wissenschaftlichen Expertise, wir können es uns in der gegenwärtigen Situation erlauben, auf einen Garten zu verzichten der vorrangig als Lebensraum, als Arche, als Trittsteinbiotop funktioniert?

WB: Der Zaun hat den Garten erschaffen (ahd. garto, mhd. mhd. garte: umgerten, umfassen). Denn zunächst war es ein Nutzgarten, dessen Früchte vor Wildtieren geschützt werden mussten. Heute sind Besitzansprüche und Nachbarrecht mit juristischer Relevanz in den Vordergrund getreten. Habe ich die Absicht meinen Garten der Natur zu überlassen (Vorsicht, wachsamer Nachbar fordert den unterbliebenen Heckenschnitt ein!), bedarf es des Zaunes nicht mehr. Für besonders ambitioniert halte ich das nicht. Keine Brache, die nicht durch gezielte Zusaaten besser gemacht werden könnte, erlebnisreicher für Spaziergänger, besser auch für Bienen, Falter und Vögel. Der Mensch greift überall in die Landschaft ein und hat die Verantwortung dafür. Die abwechslungsreiche Kulturlandschaft, nicht die Agrarsteppe, nicht der Urwald hat die größte Artenvielfalt und Erlebnisqualität. Viele unserer „Naturschutzgebiete“ schützen Kulturlandschaften. Orchideenreiche Halbtrockenrasen, Streuobstwiesen und Heidelandschaften werden als wertvolle und beeindruckende, ursprünglich menschengemachte Lebensräume durch aufwändige Pflegemaßnahmen erhalten. Loslassen reicht nicht. Auch ein Wald, der wirtschaftlich unentbehrliches Holz (dessen CO2 in Möbeln dauerhaft gebunden wird) bereitstellen muss, kann das angesichts der ungewöhnlichen Klimasituation ohne menschliche Hilfe nicht. Fühle ich mich dagegen der Gartenkunst verpflichtet, weil ich darin eine persönliche Erfüllung und Freude sehe, an der ich auch andere gern teilhaben lasse, habe ich einen anderen, weiter reichenden Anspruch. Denn im Garten spiegelt sich die Welt. Und wer sollte darin keine Bereicherung sehen? Die Vielfalt der im Sinne einer Gestaltungsidee verwendeten Pflanzen bringt auch Insekten vieles und mehr. Und zu den Gartenereignissen gehören neben Farben, ornamentalem Blattwerk, besonderen Formcharakteren und Skulpturen eben auch die Massenbesuche von Bienen und Hummeln an Bergminze, Dost oder Herbstastern, die der Falter an Sommerflieder. Ich kenne keinen „Kunstgärtner“, der nicht danach trachtet, solche „Insektenmagnete“ in die Gestaltung einzubeziehen. Vielleicht muss man ihm vorwerfen, dass er das möglicherweise nur aus selbstsüchtiger Erlebnissucht tut? Dass ihm Ernsthaftigkeit und ökologisches Sendungsbewusstsein fehlen? Sicher nicht, denn das Ergebnis zählt. Und das sind gewöhnlich Lebensräume, grüne Archen und Trittsteinbiotope – allein durch die Artenvielfalt und Schichtung, die Gärten von Enthusiasten aufweisen. Welcher Gartenliebhaber hätte Platz für Rasen und „tote“ Plattenbeläge? Leblose Gärten finden wir zuhauf in den Eigenheimsiedlungen. Aber: Wer wollte ihre „Wiederbelebung“ verordnen? Sie sagen richtig, dass Klimaveränderungen und Ausbeutung unserer natürlichen Lebensgrundlagen Angst und Hysterie schüren. Was ist noch erlaubt? Wer ist nicht dafür? Schuldzuweisungen, Beschimpfungen und Ausgrenzungen haben politische Auswirkungen und schaden der Demokratie. Krisen werden politisch nicht nur positiv genutzt. Besser, sie als Herausforderung und Chance zu sehen, die positive Kräfte freisetzt und schließlich Lösungen liefert. Angst ist ein schlechter Berater, weil sie lähmt und handlungsunfähig macht. Wir können Probleme nur lösen, indem wir aktiv werden.  Allem, was getan wird, mit Rücksichtnahme auf die „political correctness“ ein ökologisches Mäntelchen umzuhängen, ist weder erforderlich noch lösungsorientiert.

GB: Was bedeutet das ganz praxisnah?

WB: Das, was uns zu Füßen liegt, kann auch eine Wiese sein. Gezielte Nachpflanzungen mit wenigen, ausreichend konkurrenzkräftigen Arten führen zu farbstarken Aspekten. Eingelegte Rasenmuster reduzieren den regelmäßigen Schnitt auf die Rasenflächen. Dazwischen entwickeln sich spannende Gegensätze: Glatter Rasen mit „klarer Kante“ gegen „raue“ Wiese; monochromes Rasengrün gegen Farbenvielfalt; sturer Rasen gegen windspielige Wiese … Insofern gehört es zu den dankbarsten Aufgaben, in einem „reifen“ Garten mit vorhandenem Gehölzbestand arbeiten zu dürfen. Dem durchdachten Aufräumen (Ja, es gibt sie, die von Pückler angemahnte „goldene Axt“, die regelmäßig Widerstand auslöst) folgt die ebenso sinnvolle, wie wertsteigernde Zupflanzung geeigneter Arten. Anders als bei einer Neupflanzung, ist das Ergebnis fast sofort sichtbar. Der Gehölzrahmen ist ja da und muss nicht erst heranwachsen.

GB: Zeitgemäßem Gärtnern geht also eine bestimmte Haltung voraus …

WB: Alles bedeutet der achtsame Blick auf das, was uns die Natur zu Füßen legt. Nun gilt es, das Wesentliche zu erkennen, Unwesentliches auszuräumen und das Verbliebene zu steigern. Wer die Nuss in einem Nusskuchen veredelt sehen möchte, muss sie zunächst von ihrer Schale befreien. Gern auch mit Lyonel Feininger: „Das Gesehene muss innerlich umgeformt und crystallisiert werden.“ Und auch mit „Black-Box-Gardening“ aus der Samentüte: Was passiert? Wie gehe ich damit um? Spätestens jetzt wird deutlich, dass es ohne Kenntnis der Pflanzen, ihrer Gestaltqualitäten, ihrer Ausbreitungsstrategien schwierig wird, das Richtige zu tun. Der Pflegeaufwand ist gering, umso mehr ist Pflegekompetenz gefragt. Intelligentes Gärtnern eben, das sich auf einen Dialog mit den jahres- und lebenszeitlichen Verwandlungen eines Pflanzbildes einlässt. Die aufmerksame und nachdenkliche Beobachtung und das daraus folgende behutsame (kommt von „behüten“!) Eingreifen löst die Vernichtungsfeldzüge früheren Gärtnerns ab.

GB: Lieber Herr Professor Borchardt, das war bereichernd mit Ihnen zu sprechen. Einen herzlichen Dank für Ihre Zeit!

 


NOCH EIN KLEINES STÜCKCHEN WEITER RUNTERSCROLLEN UND GRÜNES BLUT MIT EUREM KOMMENTAR MITGESTALTEN!

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