Anfang März erschien mit „Der Kies muss weg!“ das neuste Buch von Tjards Wendebourg, das mit einer schmackhaften Prise Humor die Argumente gegen Kies in deutschen Vorgärten zusammenfasst …
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Interview: Tjards Wendebourg, Anke Schmitz ∗ Einleitung: Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Tjards Wendebourg, Anke Schmitz ∗ Fotos: Anke Schmitz ∗ Lekorat: Dr. Ruthild Kropp
GB: Hi Tjards, cool, dass du für mich Zeit hast. Ich dachte, wir mache das Interview heute mal als kleines Rollenspiel 😉 Du fährst glaube ich auch öfter mal Zug … sagen wir mal, ich sitze dir im ICE irgendwo zwischen Frankfurt und Stuttgart gegenüber. Wir kommen ins Gespräch und das ist auch echt nett. Wir entdecken zunächst einmal ein paar Gemeinsamkeiten, wie die politische Orientierung oder aber einen ähnlichen Musikgeschmack, alles sehr nett bis es unvorhergesehen auf meinen neuen Vorgarten kommt, von dem ich berichte, er sei voll modern, eher so geradlinig und eben komplett mit Steinen, so leicht asiatisch, “gestaltet”. Welche gedankliche Lawine würde ich da bei dir lostreten?
TW: Wow, denke ich mir, eine sehr sympathische Frau. Etwas geheimnisvoll, hintergründig. Ich denke an den unbesiegbaren Gallier, wie er in „Asterix und Kleopatra“ der Sonnenkönigin gegenüber sitzt und bei sich denkt: „Sie hat wohl einen schwierigen Charakter….aber eine schöne Nase.“ Aber, weil ich ja an das Gute glaube und, da auch eine leicht missionarische Tendenz habe, wäre ich so frei, Dir zu erklären, dass man da doch was machen kann. Ich würde Dir die Nachteile vor Augen führen und die Chancen eines richtigen Gartens in den buntesten Farben ausmalen. Wie man das so macht, wenn einem die Gegenüber zu überzeugen lohnend erscheint
GB: Zu meiner Verteidigung spreche ich darauf hin von der Zeit, die mir in meinem Leben als vollbeschäftigter Bloggerin total fehlt – hört man ja oft und du schreibst es selbst, dass das Argument Zeit sehr häufig kommt. Ist die denn echt über die Jahrzehnte mit allen technischen Neuerungen wie Spülmaschine, Waschmaschine, Auto und so weniger geworden? Glaube ich nicht.
TW:Ich auch nicht. Zeit. Das ist doch etwas sehr Relatives. Es geht eher um Wertschätzung, um Bedeutung und fehlende Erleuchtung. Wie kann man sich die Chance entgehen lassen, das Schöne zu fühlen, anzufassen? Zeit ist ein schlechtes Argument. Keine Lust, heisst das. Weil man es noch nicht erlebt hat, wie viel Spaß es macht. Weil man Bilder im Kopf hat, vom Zwang zu pflegen, von Spießigkeit, von der Oma, die den schwarzen Boden zwischen den Rosen gehackt hat. Nein, das ist nicht Garten, würde ich sagen. Das ist Last. Last den Nachbarn zu beweisen, dass man auch dazu gehört. Dass man ordentlich ist und sozial. Garten ist Freiheit, ist Lebendigkeit, ist Dynamik.
GB: Freiheit, Lebendigkeit und Dynamik machen die Sache natürlich interessanter und du wirkst ja auch echt überraschend locker für jemanden, der sich mit nem Thema wie Garten beschäftigt, da gestehe ich dir Vorurteile meinerseits. Aber dennoch, ich verstehe es nicht, warum alle Welt meint sich über meine geschmackliche Vorstellung hinwegsetzen zu dürfen. Vielleicht fänd ich das, was du mir gerade mit Pflanzen geschildert hast nicht schlecht, aber diese cleanen Steine gefallen mir eben auch. Warum meint alle Welt in diesem Thema derart übergriffig werden zu dürfen? … Ulf Soltaus Klamotte ist vielleicht ja auch nicht jedermanns Geschmack?!
TW:Naja, wenn Du es clean magst, weshalb nicht im Bad, in der Küche, im Wohnzimmer, würde ich zurückfragen. Niemand würde es Dir übel nehmen, wenn Du den Raum, den Deine vier oder mehr Wände begrenzen, sterilisieren würdest. Aber, und dann muss ich etwas ausholen, stell Dir mal vor, jeder würde darauf beharren, auf seinem Fleckchen Erde das umzusetzen, was ihm gerade durch den Kopf spukt. Der Bauer würde den Acker mit Insektiziden einnebeln, weil er kein Viechzeug mag und der Forstwirt legt den Wald um, weil er die freie Sicht liebt. Jeder Flächeneigentümer hat gegenüber der Gesellschaft für sein Stück Erde eine Verantwortung, im Großen, wie im Kleinen, würde ich versuchen meinen Denkansatz zu erklären, ohne die Magie der Zugfahrt durch Oberlehrerhaftigkeit zu zerstören. Clean heißt ja auch kahl, tot, heiß, langweilig.
GB: Mittlerweile hast du mir natürlich schon längst berichtet, dass du ein Buch zu dem Thema geschrieben hast und ich offenbare dir eine gewisse Hilflosigkeit dem Thema Vorgarten gegenüber, wie finde ich jetzt ganz konkret Hilfe, wenn ich mich des Themas in Eigenregie und ohne großes Budget annehmen möchte?
TW: Lustiger weise würde ich an dieser Stelle auf ein älteres Buch von mir verweisen, das bezeichnenderweise „Viel Garten für wenig Geld“ hiess. Es lebt von der Erkenntnis, dass nie das Geld das Problem ist, sondern eher mangelnde Phantasie. Und da gibt es doch Hilfe. Auch für den Vorgarten gibt es keinen Grund, sich der Hilflosigkeit zu ergeben. Es geht um Selbstbewusstsein, um die Kraft, sich von dem zu lösen, was man selbst glaubt, dass die Nachbarn über einen denken. Es geht um die Chance, einen Ort der Lebendigkeit zu schaffen, auf kleinstem Raum Schönheit und Dynamik zu zelebrieren. Es geht darum, was wirklich pflegeleicht ist und was „pflegeleicht“ überhaupt bedeutet. Weshalb man überhaupt so viel Angst davor hat, dass ein bestimmter Pflegezustand erhalten werden muss.
GB: Steilvorlage, wir haben noch etwas Zeit bis zum nächsten Stop: also warum?
TW: Jetzt müßte ich wieder ganz schön weit ausholen. Aber verkürzt lautet die These so: Weil Haus und Garten ganz viel über einen Menschen aussagen und Ordnung für Viele immer noch noch als Synonym für Integrität gilt (und Unordnung zugleich als Ausweis mangelnder Integrationsbereitschaft und geringer Prosperität), mühen sich viele ihrer Nachbarschaft eine besondere „Ordentlichkeit“ darzustellen. Wer aber wenig Zeit, wenig Lust und wenig Wissen hat, meidet alles, was den Zustand gefährdet. Da sind Pflanzen mit ihrer Wachstumsdynamik ein echter Unsicherheitsfaktor. Auch ein Grund, weshalb oft bloß diese phallischen Riesenbonsai in den Kieswüsten stehen.
GB: Jetzt holst du das Buch dann doch mal aus der Tasche. Ganz schön klein denke ich, das hätte ich jetzt gar nicht erwartet. Soll man das etwa irgendwie irgendwo mit hin nehmen? Ist das für mich als Planlose geschrieben oder für wen?
TW:Ich grinse, weil ich Dir ansehe, was Du denkst. Ich bin versucht zu sagen: „Es kommt nicht auf die Größe, sondern auf den Inhalt.“ Aber das klingt irgendwie komisch in der Situation. Ja, für wen habe ich es geschrieben. Das hat die Lektorin gleich zu Anfang auch gefragt. „Wer so einen Garten hat, kauft sich doch nicht so ein Buch!“ Richtig, habe ich ihr damals geantwortet. Aber es gibt genug Menschen, denen die Steine gewaltig auf den Keks gehen und genug Leute, die Argumente und Unterstützung für eine Beratung brauchen; Landschaftsgärtner, Kommunen, Nachbarn. Für die alle habe ich es geschrieben.
GB: Ich blättere mal durch und mir springt der Begriff Erlebnisraum Garten ins Auge. Ich stelle dir eine rein hypothetische Frage (Simulation hoch zwei sozusagen): wärst du der Auffassung, wenn in den nächsten Wochen ein Virus umgehen würde, der die Menschen dazu zwingen würde, für mehrere Wochen vornehmlich zuhause zu bleiben, dass sich die Wahrnehmung von diesem Erlebnisraum Garten verändern würde … und wenn ja wie?
TW: Total hypothetische, denke ich mir. Ja, wenn es wirklich mal so einen Virus gäbe und die Leute mehr Zeit zuhause verbringen würden, würden ihnen die Steine wahrscheinlich auch auf den Keks gehen. Die wurden ja meist nur hingeschüttet, um vermeintlich von der Pflege freigesprochen zu werden. Und wenn dann der Garten zum Urlaubsraum wird, ist jeden Tag Grillen und Loungen auch ein bisschen fad. Auf den Steinen erlebt man ja nicht viel und schon gar nichts, was einem abgehen würde. Wenn der Virus käme, hätte man draußen vielleicht auch gerne mal kühlen Schatten, oder Vogelzwitschern, oder ein bisschen Platz zum Anbauen von Kräutern und Gemüse, oder, oder, oder….
GB: Ich bedanke mich für das Gespräch, offensichtlich muss du jetzt aussteigen … Wo ging’s eigentlich hin, das war ja alles für mich so neu und so fesselnd, dass ich total vergaß zu fragen?
TW: Gern geschehen. Schade eigentlich. Ich hatte nicht das Gefühl, dass das mit den Steinen zwanghaft ist. So clean siehst Du gar nicht aus, mit der ganzen Lebensfreude, die sich hinter dem verschmitzten Lächeln versteckt. Aber das Leben ist ja eine Reise, die man immer wieder für Aufgaben unterbrechen musst. Heute mal Stuttgart; der Arbeit wegen. Ich wünsche Dir noch eine gute Weiterfahrt, lass mir Deine Instagram-Adresse geben und nehme mir fest vor, mir gut und gründlich anzusehen, über was Du so schreibst. Vielleicht antworte ich auch mal auf einen Deiner Posts und biete Dir an, das Büchlein in Deinem Vorgarten in die Tat umzusetzen. Was ein guter Missionar ist, der legt auch schon mal selbst Hand an.
GB: Das klingt doch nach einem Mann der Tat mit viel Menschenkenntnis! Gespräch und Buch haben mir Spaß gemacht 😉 Bleib gesund und auf bald vielleicht.