„Der Garten ist Zukunft in sich selbst … „

Der gartenaffine Zukunftsforscher Matthias Horx beantwortete mir schriftlich meine Fragen zu einer möglichen Vision der Gartenkultur von morgen …

 


Gerne und oft kreisen meine Gedanken um die Zukunft der Gartenkultur. Auf der Suche nach möglichen Anhaltspunkten und einer Methodik kam mir Zukunftsforscher Matthias Horx in den Sinn, von dem ich bereits in der Vergangenheit das ein oder andere Interview und Buch gelesen hatte.
Dass er selbst begeistert gärtnert, war mir bis dato unbekannt und gab dem Verlauf des Gesprächs Rückenwind …


Lesezeit: 5 Minuten

Interview: Matthias Horx, Anke Schmitz ∗ Einleitung: Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Matthias Horx, Anke Schmitz ∗ Fotos: Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher (www.horx.com), Foto: Klaus Vyhnalek (www.vyhnalek.com)∗ Lekorat: Dr. Ruthild Kropp


 

GB: Lieber Herr Horx, sie gärtnern selbst, wie Sie mir berichteten. Würde Sie sagen, gärtnern impliziert einen positiven Blick auf die Zukunft? 😉

MH: Der Gärtner ist ja in seinem Wesen ein Zukunftsforscher, er blickt ja immer nach vorne. Die Erfahrung lautet: A: Der Aufwand ist hoch. B: etwas Wachsen zu lassen ist großartig, es erzeugt eine tiefe innere Freude, weil man die magischen Kräfte der Natur walten lässt. Aus einem Samenkorn wird eine Blume oder ein Kohl, wie wunderbar ist das denn! C: Jedoch: der Ertrag ist beschränkt und kann nur unter großen Opfern erfolgen, aber nicht garantiert werden. Der Garten ist eine Art symbolischer Kampf ums Dasein, ein evolutionäres Ringen zwischen Natur und Mensch.

GB: Wenn Sie sich als Zukunftsforscher einem neuen Themenkomplex nähern, welche Faktoren klopfen Sie da zunächst einmal ab und welchen Stellenwert hat dabei der Blick in die Vergangenheit?

MH: Der Blick auf die Vergangenheit kommt ja über explizites Wissen, also „abgelagertes“ Wissen. In der Sicht nach vorne kommen aber eher implizite Wissensformen zum Einsatz. Dafür braucht man jenes Fingerspitzengefühl, jene Ahnungskompetenz, die auch im Gärtnern eine Rolle spielen. Man braucht ein inneres Gefühl für das Kommende, das aus den tieferen Schichten des Bewusstseins aufsteigt und sich zu Gewissheiten verdichtet. Dabei geht es nicht so sehr darum, die „richtige Zukunft exakt vorauszusagen“ – das ist langweilig und sowieso unmöglich. Es geht eher um so etwas wie um ein Hegen und Pflegen vorwärtsgerichteter Gedanken, Entwürfe, Narrationen und Visionen, die uns in eine richtigere, bessere Zukunft führen können. Auf gärtnerisch übersetzt: „Die Zeiten in ihrem Wandel lesen – und daraus neue Samen gewinnen“.

GB: Das klingt für mich sehr interdisziplinär … das heißt, wenn ich mich da auf die Reise begeben möchte, um eine Vision vom Garten der Zukunft zu entwickeln, sollte ich mich thematisch breit aufstellen, um eine View auf die Gesellschaft von morgen zu haben?

MH: Genau, das Interdisziplinäre ist aber auch das Wesen des Gärtners, das ja eine ganzheitliche Tätigkeit ist, die man nur mit Körper, Geist und Seele ZUSAMMEN hinbekommt. Wenn ein Element fehlt, fehlt eben etwas. Die Frage ist, wieso Sie unbedingt „eine Vision vom Garten der Zukunft“ brauchen? Der Garten ist Zukunft in sich selbst, und sein Wesen ist die Mannigfaltigkeit. Das scheint mir so ein bisschen die alte Trend-Verliebtheit zu sein. Man will immer DIE Mode von Morgen und DAS Food-Ereignis … das ist, finde ich, eine Konsumlogik, die zum Menschen und zum Garten nicht passt.

GB: Mein Gefühl wehrt sich spontan gegen das Wort “Konsumlogik”. Meine Neugierde hat einen tieferen Ursprung und geht somit hoffentlich über bloße Trends hinaus. Die Geschichte der Gartenkultur spiegelt in jeder Epoche das Verhältnis des Menschen zu der ihn umgebenden Natur und ich empfinde vielmehr, dass die zeitgenössischen Präriegärten, und mit Einschränkungen auch der Naturgarten, als Dokument für unser gegenwärtiges Verhältnis zur Natur bereits vollständig ausgedrückt wurde. (Eine wild erscheinende Pseudonatur wird in Kontrast zu den klaren Formen von Hecken oder aber auch Stadtlandschaften gesetzt, mal mehr mal weniger mit ökologischem Schwerpunkt. Eine Natur scheint aus dem Umland nur noch in der Stadt oder dem heimischen Garten (u.a. Naturgarten) auffindbar.) Insbesondere weil Natur und Umweltthemen in der öffentlichen Diskussion aber so präsent sind, fragte ich mich vielmehr, was denn das zukünftige Verhältnis zur Natur sein wird und welchen Gärten daraus entstehen könnten … Ich jage also nach Anhaltspunkten für ein keimendes Naturverständnis in unserer Gesellschaft 
Gibt es also Quellen, die für Sie dabei unverzichtbar sind, wenn es gilt, Einblick in gesellschaftliche Strömungen zu erhalten? Ich denke dabei spontan an sowas wie Twitter oder nicht nur CNN, sondern auch RT (Russia Today) usw. …

MH: Ich bin ehrlich gesagt kein Freund der sozialen Medien, weil die so „sozial“ auch gar nicht sind, und weil da neben Hass- und Erregungskämpfen immer wieder Hypes entstehen, die nicht zuletzt aus kommerziellen Interessen entstehen.  Ich beziehe meine Quellen lieber aus der Philosophie, der kognitiven Psychologie als vertiefte Menschenkunde und der Evolutionstheorie. Und eben aus der Biologie, die ja auch eine Schnittmenge aller Naturwissenschaften bietet. Zu diesen Themen habe ich eine intensive Bibliothek, ich glaube, dass das Buch immer noch eine ganz zentrale Bedeutung hat, weil es die Welt weniger in lauter Schnipsel und Erregungen zerlegt, wie das Internet. Gärtnern ist als Kontemplation nützlich, die notwendige Atmosphäre zum ganzheitlichen Denken herzustellen. Ich setze mich oft unter meinen Kirschbaum oder vor meinen Hortensienbusch und lese, und jedes Mal ist das Denken und Rezipieren anders.

Der Garten, der einst aus der Stadt verbannt wurde, kehrt dorthin zurück.

GB: Wenn unterschiedliche Gartentypen parallel existieren, was ja eigentlich sowohl gegenwärtig als auch durch die Zeiten hindurch der Fall war, wie kann ich mögliche Anhaltspunkte dafür finden, welcher Typus in der Rückschau derjenige werden könnte, der eine Generation, eine Epoche geprägt hat?

MH: Gartentypen entsprechen natürlich immer dem jeweiligen Gesellschaftsmodell. Der Barockgarten war eine fast schon abstrakte Komposition zu Ehren Gottes und der Schöpfung, ein Ausdruck der absolutistischen Feudalgesellschaft. Der englische Garten ist ein Ausdruck von Kultivierung und Disziplin; englische Parks waren sozusagen gezähmte Dschungel, in denen Weitsicht und Weltsicht herrschte; sie bildeten ja auch die Kolonialzeit ab, in der man viele Pflanzen importierte. Heute geht die Tendenz ja radial in mehrere Richtungen gleichzeitig. Da ist der „neue Nutzgarten“, von dem jetzt gerade in der Corona-Zeit viele träumen. Aber oft scheitern solche Selbstversorger-Versuche am Mehltau oder an Schnecken, und vor allem an naturromantischen Ideen. Es gibt Meditationsgärten auf dem Balkon, die eher eine spirituelle Dimension haben. Balkongärten, in denen Singles um ihre seelische Existenz ringen. Co-Gardening ist ein gewaltiger Trend und sägt am morschen Ast der Schrebergärten. Es gibt Gourmet-Gärten und Exoten-Gärten, in denen alte Obst- oder Blumensorten gehegt und gepflegt werden. Aber auch immer mehr richtige Profi-Versuche von Urban Gardening, in denen die Ernte schon richtig professionell ist. Der Garten, der einst aus der Stadt verbannt wurde, kehrt dorthin zurück. Die Vielfalt wird immer größer, und alle diese Modelle haben ihre Berechtigung, ihre eigenen Wege. Sie alle prägen die Epoche.

GB: Was sehen Sie bei all dieser Vielfalt, die es unter den Gärten gibt, als gemeinsamen Nenner für die Zukunft der Gartenkultur?

MH: Die Zukunft des Gartens gehört der „Togetherness“, der gemeinsamen Nahrungs- und Schönheitsproduktion. Damit kommen wir wieder in die Urgründe des Gartens, der uns ja nähren und schützen sollte. Die technische Zivilisation krankt ja darunter, dass sie Menschen in Umwelten zwingt, in denen der Kontakt zur Natur verloren geht. Ich glaube, das geht nicht lange gut. Wir verlieren unsere Seele, wenn wir den Kontakt zu Natur aufgeben.

GB: Habe ich mich immer gefragt, was “die Gärtner” als neues Modell entdecken könnten, glaube ich mittlerweile an einen Personalwechsel. Der Trend, wieder mehr regional und saisonal zu produzieren und konsumieren, alte Handwerke wieder aufleben zu lassen, slow food, Minimalismus, clean eating, the sovereign Individual, Cryptowährungen – da passt ein Stückchen Land für das Gefühl der Selbstversorgung natürlich gut. Welche Rolle spielt hierbei vielleicht auch die aktuelle Lage der Pandemie?

MH: Sie verstärkt diese Trends, einerseits weil viele Menschen nach mehr Autonomie suchen, aber auch, weil wir für unsere existentielle verunsicherten Seelen einen Anker, eine Beruhigung brauchen. Der Garten zwingt die Gedanken zur Entschleunigung, das ist wie eine Meditation. Wir verstehen dann, dass der ganze Lärm, auch der Lärm um die Pandemie, nicht so wichtig ist.

GB: Glauben Sie mit Ihrem Ausblick, dass in dem Kontext dieser “gemeinsamen Nahrungs- und Schönheitsproduktion”, wie Sie es nannten, Gartendesign noch eine Rolle spielen wird?

MH: Design ist ja ein schöpferischer Akt, der nicht nur die Form betrifft, die reine Ästhetik, sondern immer auch den Sinn ausdrückt.

GB: Herr Horx, haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit! Ich wünsche Ihnen eine angenehme Zeit in Ihrem Garten …


 

NOCH EIN STÜCKCHEN WEITER RUNTERSCROLLEN …

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