GB Telegramm: Heimische Wildblumenwiesen anlegen und pflegen.

Hans Thoma, "Waldwiese", 1876, Hamburger Kunsthalle

Kerstin Gruber, die Landschaftsarchitektin und Fachfrau für Naturnahes Grün, gibt Auskunft.


Lesezeit: 10 Minuten

Interview: Kerstin Gruber, Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Anke Schmitz ∗ Lektorat: Malte von Szombathely ∗ Beitragsbild: Hans Thoma, 1876, Hamburger Kunsthalle ∗ Bildquelle: Wikimedia commons


GB: Liebe Kerstin, ich freue mich, dass ich dich als Expertin für naturnahe Gärten zum Thema Wildblumenwiesen ausfragen darf. Die sind ja derzeit in aller Munde – dabei kann man echt viel falsch machen, nicht nur was das Anlegen, sondern auch was die Pflegemaßnahmen betrifft. Damit bin ich auch schon bei meiner ersten Frage: Was macht die heimische Blumenweise überhaupt so wichtig?

KG: Blumenwiesen sind ein wichtiger Lebensraum, vor allem für Insekten. Von den Blüten profitieren u.a. Wildbienen und Schmetterlinge. Viele Wildbienenarten sind sogar spezialisiert auf bestimmte Pflanzen, da sie ihre Brut ausschließlich mit den Pollen dieser Pflanze versorgen. Die heimischen Blumenwiesen enthalten solche Pflanzenarten. Und für Vögel ist die Blumenwiese ein wichtiges Nahrungshabitat: einerseits profitieren sie von den Insekten, andererseits auch vom Samenangebot. Eine richtig angelegte heimische Blumenwiese ist nachhaltig, weil sie einmal angelegt und regelmäßig gepflegt ein dauerhafter Lebensraum ist. Eine Blumenwiese besteht übrigens immer aus Blumen und Gräsern, denn eine Wiese ohne Gräser ist kein langfristig stabiles Ökosystem. Leider hat die öffentliche Diskussion um Blütenmangel in der Landschaft zu einem Missverständnis geführt, woraus u.a. auch die sogenannten einjährigen Blühmischungen entstanden sind. Diese Blühmischungen haben nichts mit den Blumenwiesen zu tun, die ursprünglich aus der kleinbäuerlichen Landbewirtschaftung entstanden sind. Sie enthalten außerdem fast ausschließlich nicht heimischen Arten, die vor allem für die spezialisierten Tierarten uninteressant sind.

GB: Welches Saatgut verwende ich für eine solche heimische Blumenwiese vorzugsweise?

KG: Da wir durch den Klimawandel immer extremere Wetterereignisse erleben, ist das Rezept der Zukunft Vielfalt. Vielfalt der heimischen Pflanzenarten und Gene garantiert Rekultivierungserfolge, da immer genug angepasstes Samenpotential auf der Fläche vorhanden ist, um z.B. durch Trockenheit entstandene Lücken zu besetzen. Das wird allein durch heimisches Saatgut, vor allem aber durch Regiosaatgut sichergestellt. Der 2005 gegründete Verband deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten (VWW) hat sich die Aufgabe gestellt, die Grundlagen für die Verwendung gebietseigenen Saatgutes von Wildpflanzen zu verbessern. Seine Qualitätsrichtlinien fördern regionale und transparente Produktion und Vertriebswege, um optimale Ergebnisse für den Anwender und die Natur zu erreichen. Die Firma Rieger-Hofmann GmbH bietet dieses Regiosaatgut an.

GB: Wie bereite ich die Fläche vor und wie arbeite ich das Saatgut ein?

KG: Zur Anlage einer Blumenwiese gibt es verschiedene Methoden: die Umbruchmethode, die umbruchlose Methode oder die komplette Neuanlage. Letztere ist aufwändig und sollte auf möglichst nährstoffarmen und unbelasteten Unterboden erfolgen. Die Umbruchmethode kann auf großen Flächen auch durch Streifeneinsaat erfolgen. Hier wird nicht die gesamt Fläche umgepflügt und mehrmals gegrubbert, sondern im Abstand von mehreren Metern werden Streifen in Arbeitsbreite der Maschinen mehrmals umgebrochen und dann angesät. Der Vorteil ist, dass man deutlich weniger Saatgut benötigt; der Nachteil ist, dass sich die Arten aus den Streifen nur langsam in die restlichen Flächen ausbreiten. Man rechnet pro Jahr mit einer Ausbreitung von max. 1 m bei guten Pflegebedingungen; d.h. die Randflächen müssen kurz gehalten werden, damit eine Aussaat überhaupt möglich ist. Bei der umbruchlosen Methode wird der Boden mit einer Kreiselegge (oder im Garten mit dem Vertikutierer) oberflächig geöffnet und mit reinen Wildblumen nachgesät. Auf ehemals artenreichen Wiesen kann sogar allein durch die Bodenöffnung Artenvielfalt entstehen, da die Samen wieder keimen können. Hier muss nicht mal nachgesät werden. Das Saatgut wird in den feuchten Jahreszeiten (Februar bis Mai bzw. September bis November) immer auf ein feinkrümeliges gut vorbereitetes Saatbeet aufgebracht. Es darf nicht eingearbeitet werden, da die Blumen Licht zum Keimen brauchen. Eine Saatgutmenge mit 1-4 g/m² (je nach Mischung und Vorgabe des Herstellers) reicht völlig aus. Die Wildblumen sind auf nährstoffreichen Böden eher konkurrenzschwach und brauchen einen Vorsprung vor den Gräsern, der durch die geringe Saatgutmenge erreicht wird. Das Anwalzen stellt den notwendigen Bodenkontakt für die Keimung dar.

GB: Wie wird im ersten Jahr gepflegt?

KG: Im ersten Jahr sind Schröpfschnitte notwendig, um keimenden Beikräuter wie Melde, die im Boden schlummern und durch die Öffnung der Vegetationsdecke ideale Keimbedingungen erhalten, zu entfernen. Diese meist einjährigen Kräuter lassen sich durch Schnitt gut entfernen. Mehrjährige Arten wie Disteln haben bei regelmäßiger Mahd (zweimal pro Jahr) i.d.R. keine dauerhafte Überlebenschance. Wässern macht übrigens keinen Sinn. Es ist viel zu aufwendig und bei Verwendung von Regiosaatgut erlaubt allein die genetische Vielfalt das Überleben der Pflanzen. Die Keimung erfolgt verzögert, d.h. nicht alle Samen keimen nach einem kurzen Regenguss auf einmal.

GB: Wie wird in den darauf folgenden Jahren gepflegt? 

KG: Eine Blumenwiese braucht mehrere Jahre, um sich gut zu entwickeln. Und das ist auch überall anders, da es nicht nur von der Saatgutmischung, sondern auch vom Boden und den aktuellen klimatischen Bedingungen abhängt. Wichtig ist auch bei der Pflege die Vielfalt. In regenreichen Jahren kann auch mal eine frühe Mahd erfolgen (Mitte/Ende Mai). Die Blumen entwickeln einen 2. Aufwuchs, der nicht mehr so hoch wird und etwas später blüht. Man sollte auch nicht die gesamte Fläche auf einmal mähen, denn auch die abschnittsweise Mahd fördert bestimmte Pflanzen, was dann wieder zur erwünschten Vielfalt führt. Außerdem haben Tiere eine bessere Überlebenschance, wenn nur ein Teil der Fläche gemäht wird. Auch hat die Auswahl des Mähwerkzeuges einen Einfluss auf die Artenvielfalt. Balkenmäher, bei kleineren Flächen im Garten auch die Sense, sind die richtigen Werkzeuge. Mähgut sollte einige Tage auf der Fläche zum Trocknen und Aussamen verbleiben und dann abgeräumt werden. Diese aufwändige Pflege entspricht leider nicht mehr unserer heutigen Auffassung von Landschaftspflege, die vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen wird.

GB: Du sprachst gerade von der Bodenöffnung bei ehemals artenreichen Wiesen. Könnte man nicht erst einmal testen, was in der heimischen Wiese vorkommt – Vielleicht besitzt der Boden durchaus noch Potential?

KG: Das mit dem Test ist so eine Sache. Meist sind unserer Flächen sehr nährstoffreich – zumindest zu nährstoffreich für die eher konkurrenzschwachen Blumen. Die Wiesen sind meist gedüngt und es ist nicht mehr viel da. In Städten sind die Böden stark verändert, so dass Rasenflächen i.d.R. auch nicht mehr viel Potential haben. Ausnahme sind Gegenden, wo eher magerer Boden vorhanden ist, wie z.B. bei uns die Sandachse Franken. Dort ergibt es Sinn, den Boden einfach mal oberflächig zu öffnen – und dort, wo nachweisbar ist, dass die Flächen früher artenreich waren. Doch wer weiß das heute noch? Vielleicht ein alter Bauer? Vielleicht die Naturschutzbehörde? Ich weiß es nicht.

GB: Liebe Kerstin, herzlichen Dank dafür, dass du deine Erfahrung mit uns teilst!

 


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