GB auf Besuch: Der Garten von Markus Gaißl und Mark Ehrbrecht.

Markus‘ Einladung erreichte mich über die sozialen Medien. Seine Begeisterung für Garten stünde meiner in nichts nach, so mutmaßte er. Als Argumente hängte er ein paar Bilder seines Gartens an, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Einige Tage später stand ich in dem 1,8 Hektar großen Garten nahe Alzey, dessen Staudenbeete der Psychologe gemeinsam mit seinem Lebensgefährten vor gerade einmal vier Jahren begonnen hat, sukzessive anzulegen und nach Feierabend zu pflegen. Neben Birkenhain und Sonnenbeet finden sich auf dem weitläufigen Grundstück ein Gemüsegarten, die Vermehrung sowie eine zum Teil von Kiefern beschattete Wildblumenwiese. Andere Bereiche sind im Kopf bereits umgestaltet und machen nach einem Rundgang neugierig darauf, was die Zeit und die Leidenschaft der beiden aus dem noch so jungen Garten macht. Ich sage mal, „danke Markus, dass du dich gemeldet hast. Ich komme gerne wieder und mehr Zeit zum Quatschen bringe ich dann auch mit.“


Lesezeit: 5 Minuten

Interview: Markus Gaißl, Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Markus Gaißl, Anke Schmitz ∗ Fotos: Markus Gaißl, Joachim Hegmann ∗ Lektorat: Dr. Ruthild Kropp



GB:
Lieber Markus, wie kamst du zu deiner Gartenleidenschaft, die es nach eigener Aussage auf einer Werteskala von 100 auf die volle Punktzahl bringt?

MG: Meine Eltern gingen mit mir regelmäßig zu langen Spaziergängen in den Wald, zuhause gab es aber keinen Garten. Insofern war es gerade das Fehlen eines Gartens in Verbindung zu einer früh angelegten Liebe zur Natur, was meine Sehnsucht nach einem eigenen Garten stets vergrößerte. So geht in unserem Leben das, was ist, eine nicht immer analysierbare Einheit ein mit dem, was nicht ist, egal, ob in der Form des „Noch-nicht“, „Nicht-mehr“, etc. Das, was fehlt, ist oftmals wirkungsmächtiger als das, was vorliegt.

GB: Was macht für dich den Reiz von Garten aus?

MG:Jeder von uns hat Überzeugungen oder vielleicht sollte man von Ahnungen sprechen, was „Welt“ ist. Garten hat für mich den Reiz, meine Ahnungen ausdrücken zu können. Um es mit Musil zu sagen: „Die Wirklichkeit ist eine Hypothese, die wir noch nicht überwunden haben.“ Oder ein weiteres Zitat von ihm besagt: „Die Wirklichkeit hat ein unsinniges Verlangen nach Unwirklichem.“ Wirklichkeit ist demnach für mich nichts Objektives, Feststehendes, sie unterliegt aber umgekehrt auch nicht unserer subjektiven Willkür. Sie ist irgendwie dazwischen oder vermengt, und niemand kann jeweils sagen, was nun gerade subjektiv und was objektiv ist. Die Welt ist gestaltet, ohne deshalb nur Ausdruck von Phantasie zu sein. Dies erleben wir Heutigen an dem Umstand, dass die Menschheit sogar das Klima und damit sämtliche Lebensbedingungen dieser Erde verändert.
Garten ist nun jener Ort, an dem diese beiden Aspekte von Welt, nämlich immer schon da und doch gestaltet und gestaltbar zu sein, zum Ausdruck kommen. Wir sind als Menschen in einer Art abhängigem Schaffen gefangen und dies drückt „Garten“ für mich aus. Je länger wir unseren Garten haben, desto mehr fühle ich mich gedrängt, die Idee des Paradieses ernst zu nehmen. Ich hatte mich lange Zeit mit Ironie und Witz gegen den Ausspruch vieler Besucher gewehrt, die sagten: „Da haben Sie sich aber ein Paradies geschaffen!“ Ich antwortete dann so in der Art: „Das Paradies stelle ich mir leichter in der Pflege vor.“ Mittlerweile akzeptiere ich aber das Phänomen, dass wir uns das „Paradies“ unwillkürlich als einen Garten vorstellen! Vielleicht sollte man hierbei aber einschränkend sagen, dass der Mythos „Adam und Eva im Paradies“ sicherlich für uns, die wir aus dem Paradies vertrieben sind, kein wirkliches Ziel darstellen kann, waren doch Adam und Eva nur in einer Abhängigkeit gefangen. Freie Entscheidung zur Gestaltung ihres Paradieses gab es nicht! Schaffenskraft führte dann auch konsequenterweise zu ihrem Rauswurf und wir möchten auf letztere sicherlich nicht mehr verzichten. Das anzustrebende Paradies müsste also Gestaltungswunsch und Schaffenskraft einbeziehen. Und damit kommen wir -zumindest so lange wir leben- nicht weiter als mit einem Garten!

GB: Was inspiriert dich für deine Vision von deinem Garten – und damit meine ich alles, vom Porzellanteller, über Film, Kunst, Musik bis hin zu anderen Gärten, die du besuchst?

MG:Auf einer abstrakten, dafür aber nicht leidenschaftslosen Ebene ist es die Philosophie, die mich in der Gartenarbeit inspiriert. Ich habe als ein Beispiel bereits Musil zitiert, der zwar als Literat gilt, für mich aber mit dem „Mann ohne Eigenschaften“ ein philosophisches Werk geschaffen hat. „Man müsste die Wirklichkeit abschaffen“, sagt er und wo könnte man das besser als im Garten?
Eine für mich wichtige Denkfigur ist auch der Gegensatz zwischen Natur und Nicht-Natur. Es ist geradezu eine anthropologische Aporie, dass es immer Argumente gibt für die Natürlichkeit oder Naturzugehörigkeit des Menschen und Argumente gegen diese, also dafür, dass er alles Mögliche ist, nur nicht natürlich. Auch hier zeigt sich der Garten als eine Art Synthese, da er weder eindeutig der Natur, noch der Nicht-Natur zugeordnet werden kann. In seinem Gedicht „Spaziergang“ formuliert Rilke: „Ein Zeichen ist’s, erwidernd unserm Zeichen, wir aber spüren nur den Gegenwind.“ Das ist der Blick, den wir für einen Garten benötigen!
Natürlich schaue ich mir auch gerne Gärten an, habe aber selten Zeit, sie vor Ort zu besuchten. Also besteht hierfür der Ersatz in Gartenbüchern, Reisefotos u. Ä.. Es gibt allerdings Gärten, die mir nicht gefallen, insbesondere wenn diese so eine Art dekorativer Verlängerung der jeweiligen Hausordnung, also des Ichs, darstellen. Für mich muss ein Garten auf irgendeine Weise herausfordern, in Frage stellen, erschüttern, beglücken, beflügeln …

Garten hat für mich den Reiz, meine Ahnungen ausdrücken zu können.

GB: Welche Pflanzen oder Pflanzentypen aber auch räumliche Konzepte prägen deinen Garten?

MG: Als Kind meiner Zeit bevorzuge ich „natürlich“ wirkende Stauden (also ungefüllte, eher kleine Blüten, Gräser etc.) Letztlich muss ich bei der Größe unseres Gartens schon allein aus finanziellen Gründen einen Großteil der Stauden selbst anziehen, daher verwende ich oftmals Stauden, die sich aus Samen leicht vermehren lassen. Inwieweit dies langfristig zu einem völligen Durcheinander in unserem Garten führen wird, bleibt noch abzuwarten. Ich bin kein Pflanzensammler, brauche keine Exoten, wenn mir aber eine Pflanze gefällt, dann möchte ich davon viele haben, möchte sie rhythmisch wiederholt verwenden.
Traditionelle Pflanzkonzepte, die auf einem Repräsentationsmodell von Wirklichkeit beruhen, sprechen mich wenig an. Damit meine ich, dass die Natur quasi objektiv vor mir ausgebreitet ist, und ich mir über Wahrnehmung ein Abbild davon schaffe. Dort die Natur, hier ein Bild von ihr. Begeistert bin ich, wenn ich durch eine Bepflanzung hindurchgehen kann, dies entspricht für mich eher einer Art freundschaftlichem oder sogar symbiotischen Bezug zur Natur. Der Garten als Symbiose! Das gefällt mir!

GB: Wieviele Stunden pro Woche steckst du in deinen Garten? Bewirtschaftest du Ihn alleine?

MG: Die 1,8 ha bewirtschaften mein Lebenspartner Mark Ehrbrecht und ich gemeinsam. Wie in jeder guten Partnerschaft befördert eine Aufgabenverteilung auch bei uns den häuslichen Frieden ungemein. Mark kümmert sich hauptsächlich um das Geflügel (Hühner, Puten und Gänse) und um das Gemüsebeet. Ich hingegen kümmere mich um die Staudenanzucht und -vermehrung und um die Beetgestaltung. Wir unterstützen uns gegenseitig in den jeweiligen Hoheitsgebieten, haben aber dort nur die Stellung einer mehr oder weniger angelernten Hilfskraft.
Zeit ist hierbei das knappste Gut, da Mark zu 80 % berufstätig ist und ich zu 100 %. Daher kommen wir ständig an unsere Grenzen und verbringen jede freie Minute im Garten. Garten ist für uns kein „Hobby“, sondern das Innerste unseres Lebens.

GB: Was bringt die Zukunft für deinen Garten? Was sind deine/eure Pläne?

MG: Der Garten soll sich schrittweise immer mehr für Besucher öffnen. Wir planen derzeit ein Betriebsgebäude, das u. a. eine kleine Bistroküche beinhaltet. Garteninteressierte können dann für einen Eintritt den Garten besichtigen und dabei noch einen Kaffee oder Tee trinken. Möglicherweise bieten wir auch an manchen Tagen Kuchen an. Ziel ist es auch, dass die Besucher eine Auswahl der Pflanzen, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben, erwerben können. Wahrscheinlich ist Baubeginn Frühjahr 2020. Irgendwann müssen wir dann auch beantworten, wie es mit unseren „normalen“ Berufen weitergeht.

GB: Ich denke mal, du wirst einiges an Büchern gelesen haben. Welche kannst du empfehlen?

MG: Das letzte Gartenbuch, das ich gelesen habe und mir sehr gut gefallen hat, war „Planting in a post-wild World“. Die Idee, es gebe so etwas wie archetypische Landschaften, die uns sofort gefallen, fand ich spannend. Der lichte Wald im Gegensatz zum dunklen wäre so ein Beispiel. Außerdem erläuterten die Autoren ihr Konzept der Unterpflanzung. Von oben betrachtet mag eine Bepflanzung bodendeckend sein, aber im Querschnitt betrachtet, sieht man, wieviel Raum unter dem Dach der Blätter und Blüten oftmals noch frei ist. Dort kann sich Unerwünschtes ausbreiten. Daher empfehlen sie eine Unterpflanzung. Ich experimentiere hierzu beispielsweise mit Phlox divaricata und Claytonia sibirica. Im Garten Menzel in Wöllstein hat sich Oxalis acetosella ausgebreitet und ist u. a. eine wunderbare Verbindung mit Cyclamenteppichen eingegangen.
Das Buch „Der Schattengarten“ von Beth Chatto hat ja vor einigen Jahren (Winter 14/15) überhaupt den ganzen Staudenwahnsinn hier ausgelöst. Damals ärgerte ich mich noch darüber, dass ein Buch so wenige Bilder und so viel botantische Namen enthält. Es war eine schwierige Lektüre, die aber erste kreisrunde Bepflanzungen von Baumscheiben bewirkte. Als dies zu gelingen schien, wurden wir auch mit den Formen mutiger.
Bredekamps Buch „Leibniz und die Revolution der Gartenkunst“ fand ich kürzlich ausgesprochen anregend, da es meine vorurteilsbeladenen Überzeugungen über den Barock und über den englischen Landschaftsgarten erschütterte. Überhaupt faszinieren mich Bücher, die dazu führen, dass ich am Ende lange gepflegte Überzeugungen aufgebe und beginne, die Welt anders zu sehen. Ganz im Sinne Musils: „Man müsste die Wirklichkeit abschaffen!“
Eine Offenbarung in diesem Sinne war für mich auch der Bildband „Gärten im Winter“ von Cédric Pollet. Solche Bilder gab es für mich vorher nicht. Und wenn ich auch schon vorher dachte, man sollte bei einer Bepflanzung stets auch an den Winter denken, so machten mich solche Wintervisionen sprachlos.
Vielleicht darf ich an dieser Stelle auch Bücher benennen, die mich enttäuschten?

GB: Klaro 🙂

Da ist zum einen der Bildband „Dreamscapes“ von Claire Takacs. Die porträtierten Gärten sind traumhaft, die kurzen Texte einfühlsam, aber die Bilder! Wenn ein Muskatellersalbei schreiend pink erscheint, stimmt etwas mit der Farbsättigung nicht. Und so sagte ich bei Gelegenheit, das Buch erschiene mir wie eine Packung Toffifee, das erste schmeckt noch, beim letzten ist Dir schlecht.
Ein Buch, dass mich zunächst faszinierte, mich aber letztlich um so mehr ärgerte, als mir auffiel, dass mir die Oberflächlichkeit der Texte zu lange verborgen blieb und ich mich regelrecht hereingelegt fühlte, ist „The Thoughtful Gardener“ von Jinny Blom. Nach einigermaßen interessantem Start über die Einbeziehung von Landschaft und vorgegebenen Materialien in eine Gestaltung, wurden die Kapitel zunehmend belanglos, bis sich schließlich eine uninteressante Anekdote an die nächste reiht. Um nachzuvollziehen, was ich meine, lese man einfach mal ohne Bewusstseinseintrübung durch die zugegebenermaßen wunderschönen Bilder das Kapitel über Farne! Sie hatte mal einen Farn, den sie aber nicht behalten konnte, daher schenkte sie ihn her! Über Tulpen schreibt sie, sie liebe Tulpen, wie ihre Familien Tulpen im Wappen habe. Das war es dann aber auch schon! Vor Ärger konnte ich nicht mehr weiter lesen.

GB: Gibt es Internetseiten, Foren, Arbeitskreis, Vereine oder Filme, die du sowohl hinsichtlich Inspiration als auch Wissensaneignung empfehlen kannst?

MG: Ich besuche regelmäßig das Forum „Garten-Pur“, weil ich dort zum einen Gleichgesinnte kennenlerne, zum anderen gibt es auf fast jede Frage in kurzer Zeit eine Antwort. Außerdem bin ich Mitglied bei den Staudenfreunden und besuche im Winterhalbjahr gerne die Vortragsreihen.

GB: Beste Gartenmomente?

MG: Da das Grundstück leicht nach Südosten geneigt ist, ist die Morgensonne etwas länger da als die Abendsonne. Ich genieße täglich den ersten Gang in den Garten, wenn mich die Morgensonne aus dem Schattenbereich hinaus in das Sonnenbeet lockt. Wenn wir zu zweit im Garten sind, setzen wir uns abends auf eine der vielen Bänke und versuchen, über anstehende Arbeiten hinwegzuschauen, wobei manchmal auch ein Feierabendbier hilft. Besondere Momente bestehen für mich, wenn Stauden oder Gehölze, die ich in größeren Mengen gepflanzt habe, ihren Auftritt habe: Beispielsweise Anemone blanda, später Phlox divaricata, Camassia, Salvia sclarea (allein schon wegen der Holzbienen), Saxifraga rotundifolia in dunklen Schattenecken, Euphorbia palustris oder im Herbst Lindera angustifolia.

GB: Dein Lieblingsgarten für Besuche?

MG: Ein Garten, der mich immer wieder umhaut, ist der Garten der Familie Menzel in Wöllstein. Insbesondere der Eingangsbereich, der auf verschiedenen Niveaus bepflanzt ist und mit vielleicht 5-7 Meter hohen Bambus die Höhe genauso einbindet wie mit großen Cyclamen-Klee-Teppichen die Horizontale. Aber auch die Staudenbeete sind eine Pracht, die scheinbar endlos Blüten hervorbringen.
Im Staudensichtungsgarten Weinheim zieht mich immer das Schafgarbenbeet am meisten an.

GB: Danke Markus. Bin mir sicher, dass dein Garten viele Besucher begeistern wird!