Bei klirrender Kälte treffe ich Hans von Trotha Mitte Dezember zum Fototermin vor dem RIAS-Funkhaus in Berlin. einige Zeit zuvor begannen wir unser Gespräch zu den Gärten der Zukunft schriftlich zu führen.
Unbemerkt hatte mein Geist eine Sehnsucht entwickelt: Ein Interview als wilder Ritt in Richtung Zukunft durch die Geschichte der Gartenkunst. Seither fragte ich mich, wer einen geeigneten Kompagnon abgeben könnte, als ich in einem Podcast zum Thema Gartenkunst einmal mehr auf den Publizisten Hans von Trotha stieß. Klick! Everything just fell into the right place. Von Trotha promovierte zum Thema Landschaftsgärten und schrieb selbst einige Klassiker über die Gärten verschiedener Epochen. Er kennt die Gärten dieser Welt und aller Zeitalter und so fühlte ich mich mit meinen in mir schwelenden Fragen bei ihm mehr als gut aufgehoben. Es folgt: ein Wunschinterview.
Lesezeit: 20 Minuten
Interview: Hans von Trotha, Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Hans von Trotha, Anke Schmitz ∗ Fotos: Anke Schmitz ∗ Lekorat: Dr. Ruthild Kropp
GB: Lieber Herr von Trotha. Ich freue mich, dass Sie Zeit für mich haben. Was macht für Sie den Reiz des Themas Garten aus?
HvT: Das Reizvolle am Medium Garten ist für mich seine Sinnlichkeit. Es ist die einzige Kunst, die alle Sinne stimuliert. Die Vermittlung komplexer Inhalte und Zusammenhänge durch sinnliche Stimulation und Überwältigung – das finde ich berauschend, wenn es gut gelungen ist, auch weil es im Gegensatz zu anderen Künsten so voraussetzungslos ist. Nimmt man den Garten als Kunstform ernst, ist er von allen Medien, die in der Lage sind, komplexe Inhalte zum Ausdruck zu bringen, das Niedrigschwelligste.
GB: Sie haben Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert: Wie kamen Sie im Studium auf das Themenfeld Gärten?
HvT: Ich bin auf den Garten gestoßen, weil ich mich für den Paradigmenwechsel in der Geschichte der europäischen Ästhetik von einer rationalen Regelästhetik zu einer psychologischen Wirkungsästhetik interessiert habe, ein einschneidendes Ereignis, das Anfang des 18. Jahrhundert stattgefunden hat. Dabei spielte der Wechsel vom formalen zum Landschaftsgarten eine große Rolle, wie ich feststellte. Und dann war ich an das Thema verloren.
Ein Garten ist nicht Natur. Er ist Kunst, die die Natur als Material nutzt, also die Welt selbst, wenn man so will.
GB: Alleine diese eine Epoche würde ja dem einen oder anderen bereits als inhaltliche Schwerpunktsetzung reichen. Was machte für Sie den Reiz, u.a. mit Podcasts beim Deutschlandfunk, den Blick in die Zukunft zu richten?
HvT: Je tiefer ich mich einarbeitete, desto mehr begann ich, Gärten nicht als einzelne Kunstwerke zu betrachten, sondern den Garten als solches als Ausdrucksform, als Medium – wie das Buch oder der Film, als ein Medium, das Inhalte transportiert, das man verstehen, lesen, interpretieren kann. Und so gesehen, wurde jeder Garten zum potentiellen Gegenstand der „Lektüre“ und Interpretation. Schließlich bin ich von meiner Ausbildung her Philologe.
GB: Was ist Ihrer persönlichen Definition nach, mit dem Blick auf all die Jahrhunderte der Gartenkultur, ein Garten?
HvT: Ein Garten ist nicht Natur. Er ist Kunst, die die Natur als Material nutzt, also die Welt selbst, wenn man so will. Das Einzige, was alle Gärten der Geschichte bis in unsere Tage gemeinsam hatten, war die Grenze, die Abgrenzung zur Umgebung, zunächst meist die Natur, ab dem späten 19. Jahrhundert eher die Stadt. Die Grenze war also immer die Definition des Gartens – vom Paradies bis zu Pückler und Lenné, aber auch in den Gartenbewegungen des 20. Jahrhunderts. In unseren Tagen löst sich das, indem der Garten als Idee und Medium wieder an Bedeutung gewinnt, auf. Das finde ich ungemein spannend. Es erschwert allerdings die Antwort auf die Frage, was allen Gärten gemeinsam ist – außer dem Aspekt der Sehnsucht natürlich, das Paradox vom realisierten Traum, von der realen Utopie.
GB: 2004 veranstaltete die Royal Horticultural Society eine Diskussionsrunde zum Thema “Are Garden Art?” Was genau macht einen Garten aus Ihrer Sicht zu einem Kunstwerk?
HvT: Es ist wie gesagt ein Missverständnis, Gärten für zurechtgerückte Natur zu halten – auch wenn viele Gartenkünstler und auch ganze Epochen das so gesehen haben mögen. Gärten sind gerade wegen ihrer Nähe zur Natur ungemein komplexe Kunstwerke. Der Garten ist außerdem das Medium, das das Verhältnis einer Epoche, einer Kultur zur Natur unmittelbar wie kein anderes zum Ausdruck bringt. Ich mag den Satz von Rudolf Borchardt: „Was der Mensch mit der Natur teilt, was er von ihr fordert und auf sie überträgt, ersehnt und abweist, dies alles mag Lied und Gedicht werden, oder Musik und Philosophie, oder Mythus und Religion, aber innerhalb der sichtbaren Welt muss es früher oder später Garten werden.“ Dieses Versinnlichen neuer Gedanken, das ist es, was sich durch die Gartengeschichte zieht und was mich am Medium Garten fasziniert. Deswegen ist es über Jahrhunderte hinweg auch kein unter „ferner“ laufendes, sondern ein ganz zentrales Medium gewesen. Im 20. Jahrhundert ging das Verhältnis der europäischen Kulturen zum Garten weitgehend verloren (das zur Natur ja auch). Das ist der Grund, warum Garten bis in die achtziger Jahre hinein an den Universitäten auch kaum und sehr unterkomplex gelehrt wurde, als Anhängsel der Architektur – was er nur im 20. Jahrhundert und nur in Europa gewesen ist.
Alle Gartenkunst hat ein gemeinsames Thema – und das ist die Unendlichkeit.
GB: Was ist Ihrer Meinung nach neben der gerade genannten Versinnlichung neuer Gedanken der rote Faden der Gartengeschichte bis in die Gegenwart?
HvT: Alle Gartenkunst hat ein gemeinsames Thema – und das ist die Unendlichkeit. Unendlichkeit ist das Attribut wahlweise Gottes oder der Natur. Wenn Sie es mit der Natur und mit dem Raum aufnehmen, was jeder Garten tut, dann haben Sie es immer mit der Unendlichkeit zu tun – und damit mit einer jeweils vorherrschenden Konzeption von Unendlichkeit, und die ist im Mittelalter eben völlig anders als in der Renaissance, im Barock, in der Aufklärung oder in der Romantik. Der mittelalterliche Hortus conclusus mit seinen undurchdringlichen hohen Mauern repräsentiert ein vertikales Konzept von Unendlichkeit: Der Blick, die Gedanken gehen nach oben, dort ist Gott, und Gott ist unendlich. In der Renaissance wird daraus ein horizontales Konzept – der Beginn der Gartenkunst, wie wir sie kennen, die sich in den Raum ausdehnt und die Natur in Form von Pflanzen in den Garten holt. Das wird im französischen Barockgarten weiterentwickelt, wobei die Mathematik eine größere Rolle spielt als der Absolutismus, und im Landschaftsgarten, dem sogenannten Englischen Garten völlig neu gedacht und neu interpretiert. Besonders spannend ist dann, was die Romantik in der Begegnung von Unendlichkeit und Garten entwickelt, weil sie ein ganz neues Konzept von Unendlichkeit hat. Das führt zu einer Auflösung gewisser Gartentraditionen. Und daran knüpfen Gartenideen unserer Tage, also des 21. Jahrhunderts, an – meist eher unbewusst, aber das macht ja nichts.
GB: Ach, spanned! Können Sie mir diese “neue Konzept von Unendlichkeit” in der Romantik und ihrer Folgen für die Gartentradition bis heute näher erläutern?
HvT: Thema eines meiner Garten-Bücher (meines wichtigsten, wenn Sie mich fragen) war die Frage, wie es eigentlich die Romantik mit dem Garten gehalten hat, jene Epoche, die so sehr auf die Natur setzte und der Natur nah zu sein versuchte wie keine andere. Ich fragte mich, wie es sein konnte, dass ausgerechnet in dieser Zeit wieder formale, geometrische Elemente Einzug in die Gartenkunst hielten, warum sich die Tradition der Gartenkunst danach in vieler Hinsicht quasi auflöste. Ich stellte dann fest, dass neben sozial-, philosophie- und kulturhistorischen Gründen der entscheidende Punkt der ist, dass die romantischen Künste den Anspruch erhoben, Unendlichkeit nicht darstellen, simulieren, andeuten oder nachahmen zu wollen, sondern wirklich zu gestalten, zu erleben, zu erfahren, zu erleiden, mit allen Konsequenzen. Deswegen die vielen Grenzüberschreitungen, die Vorliebe fürs Fragmentarische, Unvollendete, die Synästhesie – Grenzüberschreitungen, wo immer dies möglich war oder sich auszuprobieren lohnte. Die letzte Konsequenz dieses Ansatzes ist immer die Auflösung. Genau damit spielt romantische Kunst, sei es Malerei, Literatur, Musik oder eben der Garten, der eine Zweiteilung erfährt: den weitläufigen Park, der dann doch noch einmal Unendlichkeit imitiert, um an den Rändern in die Landschaft überzugehen (die sich umgekehrt längst nach Prinzipien des Landschaftsgartens verändert hatte), und den formal durchgestalteten sogenannte pleasure ground, eine Art cordon sanitaire ums Haus, der Bewohnerinnen, Bewohner, Besucherinnen, Besucher vor den Ein- und Auswirkungen einer als schmerzlich und bedrohlich empfundenen Unendlichkeit schützt. Das ist das gestaltete Biedermeier inmitten der tobenden Unendlichkeitsphantasie der Romantik, das Auge des Taifuns. So kam es zur Rückkehr des Formalen ins Medium Garten, bevor der Garten der Romantik sich verflüchtigte – in die Literatur, in die Musik, in die Malerei, in die Natur selbst, während kleinere, private, von der Landschaft abgegrenzte Anlagen eine neue Gartenkultur vorbereiteten.
Es ist allgemein in der europäischen Gartenkunst eine Tendenz zum Rückzug hinter Gartenmauern zu beobachten
GB: Spielen Sie damit auf die Hausgärten an, die in Deutschland im Jugendstil bzw. in England im Zuge der Arts and Crafts Bewegung auf kamen?
HvT: Zum Beispiel. Auch diese Gartenformen sind nicht losgelöst von einer größeren Entwicklung entstanden. Es ist allgemein in der europäischen Gartenkunst eine Tendenz zum Rückzug hinter Gartenmauern zu beobachten – nachdem sich die europäischen Kunstgärten seit dem Mittelalter immer weiter in die Landschaft hinein ausgedehnt und ihre Grenzen zur umgestalteten Landschaft hin zunehmend auch noch verschleiert hatten. Das war mehr als ein roll back, nachdem in dieser Hinsicht das Äußerste erreicht war, es war auch eine Reaktion auf gesellschaftliche, politische, weltanschauliche Veränderungen der Lage. My Home is My Castle, Die eigenen vier Wände – das sind Slogans eines Rückzug ins Private im Gefolge der politischen Restauration des 19. Jahrhunderts, nachdem die Zeit der großen Revolutionen zu Ende schien – politisch wie ästhetisch gleichermaßen. Und genau das passiert auch im Garten. Wobei das natürlich nur ein Strang der Geschichte ist. Im Garten kreuzen sich immer die unterschiedlichsten Entwicklungen einer Epoche. Hinzu kommen zum Beispiel die wachsenden Städte, eine Veränderung der Sozialstruktur, die entstehenden Volksgärten auf der einen Seite und viele private kleine Hausbesitzer, die ihre privaten kleinen Gärten gestalten, auf der anderen Seite. Das ist die Ausgangslage für die europäisch Gartenkunst am Anfang des 20. Jahrhunderts. Was dann folgt ist: Krieg, Zwischenkriegszeit, wieder Krieg, Nachkriegszeit, Kalter Krieg – keine guten Voraussetzungen für eine Entwicklung des Gartens als Kunst. Der Krieg ist der größte, buchstäblich alles vernichtend Feind des Gartens, immer schon gewesen.
GB: Werden die von Ihnen bereits genannten Konstanten auch für den Garten der Zukunft eine Rolle spielen?
HvT: Wie ich schon andeutete, lösen sich gerade zum zweiten Mal nach der Romantik Konstanten der Gartengeschichte auf, während der Garten gleichzeitig als Medium, als Ausdrucksform und in der Folge auch als Thema in die Mitte der gesellschaftlichen und ästhetischen Debatte zurückkehrt. Das 20. Jahrhundert würde ich hingegen als „gartenloses“ Jahrhundert bezeichnen, insofern der Garten als gesellschaftlich relevantes Medium der Reflexion des Verhältnisses des Menschen zur Natur und anderer Fragen eine deutlich geringere Rolle spielte als dies in den Jahrhunderten zuvor der Fall gewesen war – auch das ein konsequenter Spiegel des Verhältnisses jener Epoche zur Natur. Seit 20, 30 Jahren ist eine Rückkehr zum Garten zu beobachten – in Forschung, Lehre und Publizistik, aber auch in der Praxis bei neuen Anlagen, bei der Rekonstruktion historischer Gärten, bei Reisen, im Landschaftsbau und in der Stadtentwicklung. Das 21. Jahrhundert, da bin ich mir sicher, wird wieder ein Gartenjahrhundert – wenn auch unter sehr anderen, zum Teil höchst traurigen, alarmierenden und erbärmlichen Bedingungen. Aber die Auseinandersetzung mit der Natur wird in eine neue Idee vom Garten münden.
GB: Spielen Sie damit auf den Klimawandel und die Zerstörung der Naturräume an?
HvT: Ja genau. Während der Mensch sich früher im Garten vor der Natur in Sicherheit bracht, müssen wir heute das im Garten in Sicherheit bringen, was von der Natur noch übrig ist.
GB: Die Gärten, die die Gartenkunst der Vergangenheiten prägten, entstanden zu einem Großteil im privaten und sakralen Kontext. In welchem Umfeld finden Sie die Gartenkunst der Gegenwart umgesetzt? Wo werden wir die Gartenkunst Ihrer Meinung nach zukünftig finden?
HvT: Mit dem sogenannten Urban Gardening und seinen vielen Unterformen von Guerilla Gardening bis zur Garden-to-go–Bewegung hat sich eine völlig neue Idee des Gartens in den Städten herausgebildet, die einmal als frühes 21. Jahrhundert nicht nur in die Garten-, sondern überhaupt in die Kultur- und Mediengeschichte eingehen wird. Es sind Bewegungen, die mit Elementen, Formen, Themen, Materialien der Gartenkunst ganz konkret und unmittelbar grundlegenden Bedürfnissen einer jungen Generation Gestalt geben. Dabei werden permanent Grenzen überwunden: Es entstehen Gärten ohne Bindung an Grundbesitz, an Eigentum, die Grenzen zwischen Kunst, Städtebau, Ernährung, politischer Teilhabe, alltäglicher Lebensqualität lösen sich auf. Gärten knüpfen auch nicht mehr unbedingt an lange Traditionen an und sind nicht zwangsläufig auf Dauer angelegt. Hier kommt ein zeitgenössische Verhältnis zur Natur nach der großen Naturzerstörung des 20. Jahrhunderts zum Ausdruck, das unter gänzlich neuen Bedingungen das Medium Garten reaktiviert.
GB: Sie sprachen zu Beginn unseres Interviews davon, dass Sie besonders die Sinnlichkeit am Garten reizt. Empfinden Sie diese auch im Kontext des Urban Gardenings?
HvT: Ja natürlich. Auch hier ist die sinnliche Erfahrung ja das Entscheidende. Ich vermisse bei manchen Urban-Gardening-Projekten allerdings das Bewusstsein für diese sinnliche Rhetorik, die jeder Gestaltung von Lebensroman innewohnt. Da wird sich sicher noch vieles entwickeln.
Ich kann nicht sagen, wohin das im Sinne gärtnerischer Formen konkret in Zukunft führen wird. Aber ich bin sehr gespannt und neugierig.
GB: Beim Urban Gardening steht häufig die Erwirtschaftung von Lebensmitteln im Vordergrund, wenngleich im Ursprung der ästhetische Wert sowie die Konservierung der Natur oder Spontanvegetation nicht unbedeutend war. Ich denke dabei an den von Adam Purple geschaffenen Garten “The Garden of Eden” in New York. Beim Ertragsgartenbau fällt die Sicherung der Natur, von der Sie zuvor sprachen, ja thematisch eher flach. Wie sieht also das zeitgenössische Verhältnis zur Natur aus? Was ist die Philospohie dahinter?
HvT: Das sind mehrere verschiedene Fragen. Zunächst einmal sind die Erwirtschaftung von Lebensmitteln, die nachhaltige Erhaltung unserer Lebensgrundlagen und eine dem Rechnung tragende Veränderung, ja Revolutionierung der Stadtentwicklung, wie sie sich im Urban Gardening spiegeln, zentrale Elemente eines zeitgenössischen Verhältnisses zur Natur. Ich kann nicht sagen, wohin das im Sinne gärtnerischer Formen konkret in Zukunft führen wird. Aber ich bin sehr gespannt und neugierig. Und in meinen Augen ist das ein klarer „gärtnerischer Schub“ gewesen, wenn ich das so sagen darf. Und ich beobachte das mit großer Lust und finde es nachhaltig ermutigend. Wer sich um gärtnerische Formen kümmert, glaubt an die Zukunft, zumindest an eine Zukunft, und sei sie auch erst einmal bescheiden: Nur wer etwas vom nächsten Jahr erwartet, setzt in diesem Jahr eine Zwiebel.
Zu Adam Purple: Er war mit seinem „Garden of Eden“ ein absoluter Pionier des Urban Gardening. Was ich daran besonders spannend finde, ist nicht nur das Projekt selbst, mithilfe von Kindern aus der Nachbarschaft mitten in New York einen traumhaft verspielten, aber eben auch für gesunde Ernährung sorgenden Garten zu schaffen, ein echtes Paradies und eine der wahrscheinlich erfolgreichsten Maßnahmen zur sozialen Befriedung eines angespannten urbanen Umfelds in jener Zeit, sondern auch die Form, in der Adam Purple das getan hat: Es war eine klare, geometrische, strenge, straffe Form, die an frühe Botanische Gärten der Renaissance und an Barockparks erinnert, innerhalb derer Beete entstanden, die dann in sich wild und bunt und ungezähmt sein konnten – und das mitten in den Siebziger Jahren. Da war viel Wille zum Ausdruck und zur Idee in der Gestaltung, aber eben auch zur Form, mehr als dies beim Urban Gardening unserer Tage der Fall ist.
GB: Wer macht diese Gärten?
HvT: Das Besondere am Urban Gardening ist, oder war es zumindest in seinen Anfängen, dass es keine Planungsstäbe oder beschlussfassenden Organe gab, die diese Anlagen erdacht und errichtet haben. Es waren spontane Interventionen meist junger Städter, die mit der Situation, die sie vorfanden, unzufrieden waren, und die sich an die althergebrachte Trennung von öffentlichem und privatem Raum nicht mehr hielten – und vor allem damit den Stadtentwicklungs- und eben auch, wie ich es interpretiere, den Gartenbegriff revolutioniert haben. In Deutschland, insbesondere in Berlin, ist das dann rasch in organisiertere Formen übergegangen, während es in anderen Städten in Europa und auf der Welt einen stärker anarchischen, spielerischeren Charakter behalten hat. Urban-Gardening-Initiativen und Interventionen finden sich in Städten buchstäblich auf der ganzen Welt. Es ist ein globales Phänomen, also ein echtes Phänomen unserer Zeit.
Allerdings stellt sich die Frage, ob wir es uns in Zukunft überhaupt noch leisten können, eine Grenze zwischen Garten und Natur zu ziehen …
GB: Ich möchte auch noch auf eine weitere zeitgenössische Gartenströmung zu sprechen kommen. Heute findet die “naturnahe Pflanzung” eine moderne Interpretation in Gärten wie z. B. denen von Piet Oudolf, dem wohl bekanntesten Vertreter der Dutch-Wave-Bewegung, aber auch in der Naturgartenszene. Impulse für das Aufkommen der Landschaftsgärten, die ebenfalls Natur imitieren sollten, werden in der Literatur ausführlich beleuchtet, vielleicht könnten Sie die aus Ihrer Sicht wichtigsten umreißen und mögliche Thesen für diese Renaissance aufstellen?
HvT: Ich halte es für ein Missverständnis, dass im Landschaftsgarten naturnah gepflanzt wurde. Noch einmal Rudolf Borchardt: „Die Ordnung des Gartens als ein menschliches und als ein humanes, das heißt als ein sittliches Prinzip wird immer wieder ein gegennatürliches … zu werden trachten, und die Blume aus sich verweisen, wenn sie ihr nicht gehorsamt, das heißt sich vermenschlicht. Der Garten ist antinaturalistisch, er hasst und bekämpft die Wildpflanze … “ Das gilt lange, eigentlich das ganze 19. Jahrhundert hindurch noch uneingeschränkt auch für den Landschaftsgarten, nur dass er genau das kaschiert. Erst das 20. Jahrhundert hat den Naturgarten, das naturnahe Pflanzen, das Sichselbstüberlassen zum Bestandteil neuer Gartenformen gemacht – ein Element, das immer nur neben anderen, künstlerischen, formalen Elementen als Garten funktioniert und deswegen schnell an seine Grenzen kommt. Allerdings stellt sich die Frage, ob wir es uns in Zukunft überhaupt noch leisten können, eine Grenze zwischen Garten und Natur zu ziehen, ob wir nicht verpflichtet sind, so viel wie möglich an Natur zu retten, ganz gleich, ob es sich in der Stadt, auf dem Land oder im Garten befindet. Der Gartenlehrer, -gestalter und –philosoph Gilles Clément hat die Idee vom „planetarischen Gärtnern“ entwickelt, dahinter steht der Gedanke einer Verantwortung des Gärtners nicht nur für seinen Garten, sondern aus dem Garten heraus für die ganze Welt. Und er fragt, radikal, aber nicht grundlos: ob vielleicht Schauen in der Zukunft die wahre angemessene Form des Gärtnerns sein könnte.
GB: Meint Clément damit, dass ich als Gärtnerin schaue und versuche zu konservieren oder dass ich von der Natur Prinzipien übernehme? Wie ist die Frage ganz praxisnah zu verstehen?
HvT: Schauen wäre, so verstehe ich das, das Gegenteil zum Eingreifen. Die Gestaltung ist dann eine Frage der Fantasie, des Intellekts, des Begreifens, der Idee, nicht mehr des Bauens und Grabens. Das hat es schon einmal gegeben – nämlich in der Romantik, in der die Idee des Gartens in der Literatur, in der Malerei, in der Musik besonders lebendig war, als „künstliche Paradiese“. Überhaupt glaube ich zunehmend, dass wir von der Romantik viel mehr lernen können als von der Aufklärung, weil wir viel mehr mit ihr gemeinsam haben. Auch wenn man das manchmal vielleicht nicht wahrhaben will.
GB: Eine Frage mit persönlichem Hintergrund, ich denke, Sie können mir da weiterhelfen: Stilgeschichtlich wird die Gartenkunst von den Kunsthistorikern in die Gattung der Architektur einsortiert. Finden Sie das sinnvoll? In mir sperrt sich da immer etwas …
HvT: Die Kunstgeschichte hat sich in der Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Kalten Krieges denkbar schlecht um das Thema Garten gekümmert und es als Appendix der Architekturgeschichte zugeschlagen. Das spiegelte das Verhältnis des „gartenlosen“ 20. Jahrhunderts zum Garten, das ihn eben auch zum Anhängsel der Natur erklärte, was er historisch nicht gewesen ist und seinem Wesen nach nicht ist. Früher waren große Gartenanlagen auf dem Land, also von Natur umgeben. Erst nach der industriellen Revolution wanderten sie in die Städte, waren nun von Architektur umgeben, auf die sie antworten mussten. Da wurden aus Gartenkünstlern und Landschaftsgärten Gartenarchitekten. Ich finde, der Garten als Medium gehört in die Hände von Philologen, Philosophen und Kulturwissenschaftlern, die die Kunsthistoriker und die Architekten in Spezialfragen zurate ziehen sollten – schließlich geht es bei der Entschlüsselung der Botschaften von Gärten nicht um Objekte, sondern um Strukturen.
Ich bin Gartentheoretiker, kein Praktiker. Ich ziehe es vor, in den Gärten anderer zu lesen.
GB: Das geben Sie mir ja eine Steilvorlage 🙂 Wie würde also Ihr Garten aussehen bzw. wie sieht Ihr Garten aus?
HvT: Ich bin Gartentheoretiker, kein Praktiker. Ich ziehe es vor, in den Gärten anderer zu lesen. Das finde ich aufregend – und man kann es wunderbar mit anderen teilen, die dann selbst anfangen, ihre Umgebung ganz anders, intensiver zu sehen. Das ist es, was mir an der Sache Spaß macht.
GB: Was sind Anlagen oder Anlaufstellen, die den gegenwärtigen Garten aus Ihrer Sicht verkörpern und die vielleicht schon ihre Schatten auf einen Garten der Zukunft vorauswerfen?
HvT: Wir sind in einer Übergangsphase. Wir haben noch nicht wirklich eine eigene, unsere Sprache im Garten entwickelt – ja wir wissen ja noch nicht einmal, wie weit „unser“ Garten ein Garten im traditionellen Sinn wird sein können. Aber wo immer im großen Stil gebaut wird, ist der Garten inzwischen ganz selbstverständlich gleichwertiger Bestandteil architektonischer Ensembles. Nehmen Sie aus den letzten Jahren das Stavros Niarchos Foundation Cultural Center in Athen. Da ist ein moderner Garten, der im vollen Bewusstsein der europäischen Gartentradition gestaltet wurde, das Bindeglied zwischen Architektur, Meer, Landschaft und Stadt. Eine solche verbindende, alle Sinne, alle Künste, alle Zeiten umspannende Kraft kann als reale Erfahrung nur ein Garten entfalten. Das immerhin haben wir wieder verstanden. Ich bleibe gespannt.
GB: Herr von Trotha, herzlichen Dank für Ihre Expertise.
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