„Wer kein Scheitern im Garten erlebt hat, der war nicht mutig genug.“

Grünes Blut trifft den Gartengestalter Joachim Hegmann an einem wunderschönen goldenen Oktobertag in Ludwigshafen.



Interview: Joachim Hegmann, Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Anke Schmitz ∗ Fotos von Joachim Hegmann: Anke Schmitz ∗ Fotos Gallerie: Joachim Hegmann ∗ Lektorat: Dr. Ruthild Kropp

Lesezeit: 25 Minuten



Joachim habe ich in einer Pause des
Gartenpraxis-Seminar in Grünberg kennengelernt. Er war mir nicht ohne Grund sofort vertraut, kannte ich Gesicht und Namen bereits aus den sozialen Medien. Nur was er genau machte, wusste ich nicht. Da man sich mit Joachim aber sofort in einem sehr locker-entspannten Gespräch befand, kam schnell Licht ins Dunkel und so erfuhr ich schon vor seinem Vortrag ein wenig über sein Wirken als Gestalter und seiner Freundschaft zu Harald Sauer, mit dem er 2015 gemeinsam eine Fläche auf der Landesgartenschau in Landau gestaltet hatte. Und Ludwigshafen, das liegt ja quasi um die Ecke. Ein Treffen wurde unter der Bedingung, dass ich nicht ohne Interview gehen würde, abgemacht. Drei Wochen später ging es also auf einen Besuch zu dem ehemaligen Chemiker Joachim Hegmann, der mir bei allerschönstem Herbstwetter am Ludwigshafener Hauptfriedhof und Ebertpark Pflanzungen von Harald Sauer zeigte – dieser schaute während unseres Gesprächs hin und wieder auch mal um die Ecke und aß mit uns zum Lunch.

GB: Lieber Joachim. In Deinem Fall liegt die erste Frage wohl auf der Hand. Was sind Deiner Meinung nach die Parallelen zwischen Chemiker und Gartengestalter?

JH: Ich bin im Grunde mein Leben lang Chemiker und auch ein Alchemist. Es ist, als wenn du einen großen Kessel hast und verschiedene Chemikalien und Zutaten mit rein gibst. Wie die Alchemisten beispielsweise Lindenblüten und Blei … und dann kochst du das und destillierst das Gemisch. Was aus der Retorte oben herauskommt, aus diesem Gemenge, dieser Ursuppe, die es mal vor 4 oder 2 Milliarden Jahren gab, das ist dann das Kondensat, der kleine magische Tropfen, die Essenz. Das ist für mich die Kunst bei beidem, die Essenz zu gewinnen und zu sagen: „Diese Essenz passt für diesen Ort“! Insofern gibt es eine wunderschöne Parallele zwischen Chemie und Gartengestaltung.

GB: Ein Gedanke, der mir kürzlich kam – ich weiß gar nicht, inwieweit Du musikinteressiert bist, aber ich mag irgendwie diese Analogien im Leben … Wenn man den Präriegärten, so will ich die zeitgenössische Gestaltung mit Stauden mal pauschal nennen, einer Musikrichtung zuordnen würde, könnte man wohl einen Vergleich zum Jazz ziehen?

JH: Ja, das ist vielleicht möglich und ein interessanter Vergleich. Ich kann es letztendlich nicht mit Sicherheit sagen, aber es gibt Parallelen. Es gibt komponierte Jazz-Stücke, aber wir reden mal von improvisiertem Jazz, und im Grunde gibt es ja häufig eine Absprache unter den Musikern. Da gibt es irgendein Thema, einen Rhythmus der wechseln kann, vielleicht einen Takt, und dann gibt es aber eben auch ganz viel Freiheit, Phantasie und letztendlich auch Zufälle in diesen Stücken. Wenn jemand improvisiert, dann kommt ganz viel aus seinem Gefühl hoch und letztendlich weiß glaub ich keiner bei einem improvisierten Jazz-Stück, was am Ende entsteht.

Man sollte als Gartengestalter nicht nur etwas von Gärten und Pflanzen verstehen, sondern sollte ein halbwegs guter Psychologe sein.

GB: Also ein Vergleich, den man vielleicht nicht beim Kunden ziehen sollte 🙂

JH: (lächelt) Gut, das kann ich nicht bei jedem Kunden machen. Wenn ich Gärten für Kunden mache, muss ich schauen, welche Dynamik, welche Zufälle ich meinen Kunden zumuten kann. Kommt er mit unerzogenen Pflanzen klar und kann damit leben, dass sich manche Pflanzen vermehren wie sonst was? Insofern muss ich manchmal eine etwas gezähmte Form des Jazz verwenden.

GB: Und worauf stützt Du Dich dann bei dieser Kunden-Anamnese? Vielleicht auf die Inneneinrichtung oder ist es eher wie die jeweilige Person auftritt, wie sie gekleidet ist? Was sind Deine Anhaltspunkte?

JH: Also, ich glaube, es war der Jörg Pfennigschmidt, der gesagt hat, er versucht immer mit einem Vorwand in die Wohnung zu kommen, damit er sieht, wie sich die Kunden möblieren. Dann erkenne man viel über das Wesen. Aber das muss ich nicht machen. Das ergibt sich fast immer. Für mich sind es die Gefühle und Emotionen der Menschen, die kann ich erfassen, denke ich. Ich habe vielleicht auch eine Intuition dafür, wie Menschen ticken und ein Gespür dafür, was ich ihnen zumuten kann. Man sollte als Gartengestalter nicht nur etwas von Gärten und Pflanzen verstehen, sondern sollte ein halbwegs guter Psychologe sein, sonst wird man Probleme haben, Kunden für das, was man sich ausdenkt, zu begeistern. Letztendlich ist eines der klassischen Kriterien der Gestaltung natürlich, welche Atmosphäre der Garten und der Ort haben. Wenn ein Garten unmittelbar neben der BASF liegt, ist das eine andere Atmosphäre als wenn er in einer wunderbaren Naturlandschaft eingebettet ist. Weiter gehe ich sicherlich darauf ein, ob die Leute 5 kleine Kinder haben oder ob die 70 Jahre alt sind. Es gibt also viele Faktoren.

GB: Bist du auch einer dieser Faktoren?

JH: Natürlich ist ein Garten auch von meiner Lebensgeschichte, meinen Vorlieben für Pflanzen, meinen Erfahrungen allgemein und mit der Natur geprägt, von Gefühlen und den Gärten, die ich gesehen habe. Das Spannende ist eigentlich aus diesen unendlich vielen Einflüssen, die wirklich nahezu unendlich sind, zu sagen „Genau dieser Garten ist der richtige für dieses Haus“. Manchmal empfinde ich das fast schon als arrogant zu sagen, aus diesen Milliarden Lösungen, genau das! Das ist wirklich eine schwere Geburt im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht so schwer wie für eine Frau, ein Kind zu gebären, ganz ohne Frage, aber es ist schwer.

GB: Gibt es den idealen Kontext für Deine Gärten?

JH: Im Grunde können meine Gärten überall sein. Bestes Beispiel sind die Gärten, die ich in meiner alten Firma gestaltet habe, mitten in einer Industrielandschaft mit vielen Gebäuden, die man nicht unbedingt als schön bezeichnen würde. Gerade dieser Kontrast, da wilde Natur rein zu bringen, macht den Reiz. Das ist das wundervollste Spannungsfeld, was man erzeugen kann. Ich bin aber auch ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. Insofern finde ich es auch wundervoll, einen Garten in einer ganz tollen Landschaft machen zu können. In einer französischen Stadt, in Wissembourg, durfte ich zum Beispiel einen Garten gestalten, der im Grunde noch in der Sphäre der Altstadt an einem herrlichen Flüsschen mit einem alten Wehrturm und mit Ausblick auf den Wald liegt. Die sanften Hügel steigen an, die Wäldchen, wunderbare Häuser um den Garten herum, der Garten hat unheimlich Potential durch die umgebende Landschaft. Das ist ein Geschenk, die Umgebung muss bei mir nicht immer hässlich sein.

Mir war erst gar nicht klar, dass alles, was ich im Garten mache, fast alles eine Form des Ordnens ist.

GB: Ich komme aus dem Ruhrgebiet, Hässlichkeit ist vor diesem Hintergrund subjektiv.

JH: Ludwigshafen ist ja das Ruhrgebiet des Oberrheins.

GB: Jaaa, also Ludwigshafen toppt Dortmund auf jeden Fall, ja. Vielleicht nicht Gelsenkirchen, aber ähm ja … ich schweige jetzt 🙂

JH: Wenn Du jedenfalls so eine Traumlandschaft hast, wunderschöne Gebäude, mit denen Geschichten verbunden sind, und dieser herrliche Pfälzer Wald mit den Weinreben, den ich so liebe – das ist ja meine Heimat – und wenn das im wahrsten Sinne des Wortes fast rein fließt in einen Garten, dann ist es wirklich eine Quelle von Inspiration und von Schönheit, die man im Grunde nur noch abschöpfen muss. Die Frage hatten wir ja zu Beginn, wie ich eigentlich von der Chemie zum Garten gekommen bin, und das eine ist eben diese gefühlvolle Seite, meine Liebe zur Natur und zu Pflanzen, die aus dem Herzen kommt. Gleichzeitig bin ich auch Naturwissenschaftler. Dazu gehört meine Neugier, Experimentier-lust und der Ansporn, möglichst viel über die Natur und Gärten zu wissen.

GB: Das heißt?

JH: Ich muss Pflanzen kennen, ich muss was über Gestaltung wissen, ich muss auch was zum Handwerk wissen, wie man einen Weg baut. Ich muss es zwar nicht selbst machen, aber ich muss es verstehen. Ich muss wissen, wie die Garten- und Landschaftsbauer das umsetzen können. Deswegen habe ich unendlich viele Bücher gelesen. Ich bin Autodidakt. Ich war hierfür an keiner Universität, aber ich möchte mal sagen, dass ich garantiert mindestens so viele Bücher gelesen habe wie jeder Student der Garten- und Landschaftsarchitektur.

GB: Was sind für Dich Regeln bei der Gestaltung?

JH: “Gestalten heißt Ordnen”, der Satz stammt von Wolfgang Borchardt und der ist sehr wichtig für mich. Mir war erst gar nicht klar, dass alles, was ich im Garten mache, fast alles eine Form des Ordnens ist. Ordnen heißt in diesem Fall überhaupt nicht, dass es ordentlich, sauber oder sonst wie sein muss. Ein Ordnungsprinzip kann auch lauten, dass ich etwas einem Zufallsprinzip oder einer großen Dynamik überlasse. Es kann natürlich auch bedeuten, dass es was mit Geometrie zu tun hat. Es gibt also viele Facetten von Ordnung. Das begeistert mich. Wie man etwas komponiert, kann man in Büchern nachlesen. Gerade Wolfgang Borchardt, den ich sehr, sehr schätze, hat zwei, drei der wenigen guten Gestaltungsbücher geschrieben. Er hat sich wissenschaftlich damit beschäftigt, wie man Gestaltung beschreiben kann und wie man Gestaltung auch in der Lehre vermitteln kann. Da habe ich sehr, sehr, sehr von profitiert. Das ist quasi der intellektuelle Teil und der andere stammt eben aus den ganz vielen Erfahrungen und Intuitionen, die dann einfließen.

… Trial and Error. Das ist eine gute Schule.

GB: Und hast Du dann auch Gärtner angesprochen, die Dir ein paar Handgriffe gezeigt oder Tipps gegeben haben oder hast Du das alles aus den Büchern für Dich ableiten können?

JH: Ein großer Teil meines Wissens stammt aus den Büchern und dazu muss ich auch sagen, gibt es Trial and Error. Das ist eine gute Schule.

GB: Super Überschrift.

JH: Finde ich auch – ein guter Satz. Wer kein Scheitern im Garten erlebt hat, der war nicht mutig genug. Wer also nie eine Pflanze verloren hat, wer nie einen Garten angelegt hat und am Ende festgestellt hat, es war Mist, der war wirklich nicht mutig genug, finde ich. Insofern gehört Scheitern immer dazu, auch in der Wissenschaft. Ich habe ja wissenschaftlich in der Chemie gearbeitet und es gibt kein Experiment, das immer gelingt. Es ist ja das Wesen des Experiments, etwas zu versuchen und wenn das gewünschte Ergebnis nicht herauskommt, ist das kein Scheitern sondern ein Lernen.

GB: Also im Prinzip ein Überprüfen.

JH: Genau. Du kennst ja das berühmte Beispiel, wie Penicillin erfunden wurde. Es ist im Grunde eine Verunreinigung gewesen, im Grunde ein Scheitern und daraus wurde dann etwas ganz Tolles abgeleitet. Und das muss man: Scheitern. Fehler muss man umleiten in Erkenntnisse.

GB: Das können die Deutschen ja angeblich nicht so gut, oder?

JH: Ja, wir Deutschen sind so furchtbar Fehler-intolerant. Fehler werden als etwas Schreckliches angesehen. Auch als eine persönliche Niederlage, was es ja überhaupt nicht ist.

GB: Drei oder vier Begriffe oder Eigenschaften, mit denen Du Dich selber beschreiben würdest?

JH: Kreativ auf jeden Fall, was soll ich sagen? Ich will ja nicht nur Positives nennen. Manchmal tue ich mich etwas schwer vom Kreativ-Modus in die praktische Umsetzung überzugehen. Als ich noch als Chemiker gearbeitet habe, hatte ich einen tollen Mitarbeiter, der exzellent in der praktischen Umsetzung war und ich war der Kreative – wir waren ein Traumpaar. Das hat super funktioniert. Aber ich habe jetzt das Glück, dass ich Leute kenne, die meine Kreativität umsetzen können, wie zum Beispiel die Gartenlandschaftsbauer. Ich habe ein großes Netzwerk, aber am Ende des Tages muss ich auch meine Projekte selbst umsetzen und da knirscht es dann manchmal. Es ist das, was ich gerade schon als schmerzliche Geburt bezeichnet habe, aber es funktioniert. Ich kann mich in andere Menschen gut einfühlen, das glaube ich schon. Was in jeder Situation wichtig ist. Ich bin manchmal genervt, wenn es nicht nach meinem Strich geht, wenn ich einen Weg gehen will und der Weg geht nicht, weil jemand anderes nicht will. Damit kann ich nur schwer umgehen. Das waren die Eigenschaften.

GB: Und praktische Umsetzung bedeutet, die Pflanzen auslegen oder sich zu entscheiden, welche Pflanzen es jetzt tatsächlich am Ende werden?

JH: Nee, mehr die handwerklichen Dinge letztendlich. Sich zum Beispiel für Pflasterbeläge zu entscheiden, den richtigen Garten-und Landschaftsbauer zu organisieren, Arbeitsabläufe zu organisieren vielleicht in einem Projekt usw. Wobei ich das auch alles kann und mache. Projektarbeit war eine meiner Geschichten, die ich in meiner Chemiezeit gemacht habe, insofern kommt mir das auch sehr zugute, dass ich in meiner Firmenzeit mit unendlich verschiedenen Leuten zu tun gehabt habe.

Ich habe aus meiner Kindheit noch Wiesenbilder im Kopf oder, eigentlich müsste man sagen, im Herzen oder in der Seele.

GB: Wie würdest Du Deinen Stil bezeichnen und was macht ihn aus?

JH: Ich bin, hat der Harald vorhin schon beim Essen gesagt, vielleicht der Wiesenmensch. Ich habe aus meiner Kindheit noch Wiesenbilder im Kopf oder, eigentlich müsste man sagen, im Herzen oder in der Seele. Ich kann mich zwar nicht mehr bewusst erinnern, aber diese Bilder sind ebenso wie einige Landschaften in mir drinnen und die haben mich geprägt. Wiesenbilder heißt auch, ein gehöriges Maß an Unordnung, an Wildheit, an Zufall und auch, wie die Pflanzen selbst aussehen, zum Beispiel die Doldenblütler. Die Charakteristik von Wiesenpflanzen sind eher kleine Blüten, unauffällige Blüten, naturhafte Blüten. Im Grunde ein sehr naturnahes Bild, das ich natürlich nicht immer in Reinform verwende. Da geht es jetzt wieder um die Gegensätze, wo durchaus auch formale Rahmen wie eine Hecke, ein besonders ins Auge fallender Baum, eine Mauer oder andere formale Elemente wie Wege ganz wichtig sind, weil sich Menschen in einem Garten auch nach Ordnungen sehnen. Deswegen ist es ganz wichtig, auch daran zu denken. Aber, wie gesagt, nochmal zurück zur Wiese. Du siehst an meiner Art, wie ich mich ausdrücke, dass dieses Wilde und Zufällige, dass sich das auch in meiner Sprache wiederfindet. Also, ich verzettele mich auch manchmal.

GB: Nennen wir es eine Meditation 🙂

JH: Genau, ich fließe so dahin. … und zu diesem Naturhaften, Wiesenhaften kommen dann auch so verrückte Geschichten. Du kannst Dir jetzt zum Beispiel eine Wiese vorstellen, die am Offenbacher Stadtrand wächst, und ich pflanze dann noch Fackellilien hinzu. Ich finde sowas ganz toll.

GB: Also, Du versuchst es sozusagen zu überhöhen, um den Effekt zu steigern.

JH: Das ist richtig, aber ich mache es nicht, um den Effekt zu steigern, sondern ich mache es, weil ich die Bilder toll finde. Das ist manchmal auch ein Experimentieren, eine Lust an was Verrücktem, an Farben, an dem Orange von Fackellilien oder an etwas völlig Fremdartigem. Ich habe Lust, mich selbst und andere zu überraschen. Es ist ja nichts langweiliger als Bilder, an denen man sich schon satt gesehen hat, die man schon kennt. Gärten, die es schon immer gegeben hat. Ich finde es toll, wenn immer auch Überraschungen und Neues dabei sind, die möglicherweise auch provozierend sind. Da fällt mir übrigens noch ein Satz, den ich von Wolfgang Borchardt sehr schätze, ein … hm, wie hat er sich ausgedrückt … das I-Pünktchen einer Gestaltung ist am Ende des Tages eine Provokation. Eine Gestaltung kann mit Gegensätzen, Harmonie usw. noch so toll ausbalanciert sein: am Ende des Tages brauchst Du einen Tropfen Provokation. Das ist dann das Nonplusultra einer Gestaltung. Man darf das nicht übertreiben, ein kleiner Schuss noch, wie ein Gewürz zum Essen, vielleicht etwas Schärfe oder etwas Kardamom, ich weiß es nicht, das macht aus, dass sich jeder fragt „Mensch was ist das?“.

GB: Der Pfiff quasi?

JH: Etwas mehr als Pfiff vielleicht sogar. Provokation ist ja auch etwas Herausforderndes, etwas, das Widerspruch auslöst. Es darf natürlich nicht zu viel sein so wie „Das passt alles nicht!“, aber vielleicht „Das passt nicht! Warum ist diese gelbe Blume da drin?“, das will ich.

Ich habe einen Garten auf Sandboden und war es irgendwann leid, Rittersporn hochzupäppeln.

GB: Wo siehst Du da Schwerpunkte zum Beispiel von Deinem Weggefährten und guten Freund Harald Sauer? Wenn man Dich aussetzen und sagen würde „Wer hat das gepflanzt?“, woran würdest Du erkennen, dass es Harald war?

JH: Zum einen, wie es bei vielen Gestaltern so ist, gibt es einfach Lieblingspflanzen. Ich würde diese Wiedererkennungspflanzen nennen, wie eben die Kalimeris incisa ‚Madiva‘ von Petra Pelz oder bevor Piet Oudolf die Astilben wiederverwendet hat, waren die schon fast totgesagt. Jetzt haben sie schon länger eine Renaissance erlebt und Harald, den würde ich mittlerweile an der Glycyrrhiza yunnanensis, das ist chinesisches Süßholz, wiedererkennen und auf jeden Fall an Gräsern, Gräsern, Gräsern und sehr ausdrucksstarken Pflanzen mit einer ganz besonderen Struktur und an bestimmten Kombinationen, die er da macht. Ich kann es nicht beschreiben, ich empfinde es einfach, ich sehe das. Ich meine, ich kenne Harald auch ziemlich gut. Ich glaube, da kannst Du mich nachts um 3 wecken und ich würde sehen: Das ist von Harald.

GB: Du sprachst zuvor bereits von den vielen Büchern, die Du Dir einverleibt hast. Welche Bücher sind die, die Dich nachhaltig beeinflusst haben oder von denen Du wirklich sagen würdest, die bringen die „PS auf die Straße“.  

JH: Hm, also ein Buch, das mich wirklich sehr, sehr geprägt hat, das war das Buch von Beth Chatto „The Dry Garden“. Das war für mich ein Quantensprung. Ich bin ein großer Fan von trockenheitsverträglichen Pflanzungen, von Steppen-Pflanzungen. Ich habe einen Garten auf Sandboden und war es irgendwann leid, Rittersporn hochzupäppeln. Als ich dieses Buch entdeckt habe, war die Art der Pflanzenverwendung, die Pflanzen, die sie verwendet hat, sowie der Anspruch auf so einem miserablen Kiesboden einen tollen Garten hochzuziehen, der nicht gewässert wird, der nicht überkantig gepflegt wird, eine Offenbarung für mich. Diese englische Eleganz haben meine Beete vielleicht ganz bewusst nicht immer, aber das Buch war eine meiner tollen Entdeckungen. Auf der Gestaltungsseite habe ich Wolfgang Borchert für mich entdeckt. Seine zwei, drei Bücher habe ich wirklich verschlungen, weil es davon ab eben keine andere Literatur gibt, die sich mit Gartengestaltung wissenschaftlich beschäftigt. Und dann natürlich DAS Buch von Hansen und Stahl „Die Stauden und ihre Lebensbereiche“, das war eine weitere Entdeckung. Ich kannte das Buch nicht und habe es durch Zufall entdeckt. Also, das war für mich das fachliche Fundament. Und natürlich kommen dann die Dinge, die Piet Oudolf gemacht hat, hinzu. Das hat mich begeistert. Nachdem ich Oudolf entdeckt habe, las ich im Grunde jedes Buch von ihm, insbesondere die neueren Handbücher, in denen er seine ganzen Gartenprojekte vorstellt, „Landscape in Landscape“ beispielsweise. Vom kleinen Garten bis zu den Gärten, die mehrere Hektar groß sind, inklusive der High Line. Solche Projekte haben mich bestimmt beeinflusst.

GB: Und wenn wir vielleicht von Büchern zu Gärten gehen?

JH: Da muss ich natürlich an erster Stelle den Hermannshof in Weinheim nennen, der bei uns um die Ecke liegt. Für mich eine mega Entdeckung als ich 2005 zum ersten Mal da war. Ich glaube, das war im April/Mai. Zu der Zeit blühten natürlich die Tulpen und Osterglocken. Das war erstmal ein visueller Farbrausch, der mich geflasht hat. Ich habe aber zu dem Zeitpunkt noch gar nicht erfasst, welches Potential der Hermannshof hat. Ich habe es dann wieder so ein bisschen ad acta gelegt und mich erst 2007, als ich die ersten Gärten in meiner Chemiefirma gemacht habe, an den Hermannshof erinnert. Erst da habe eigentlich gesehen, was dieser sonst noch außer Tulpen zu bieten hat. Mich haben diese der Natur nachempfundene Bepflanzungen begeistert. Eine meiner Lieblingspflanzungen heißt Salbei-Schafgarbe-Beet, eine total trockenheitsverträgliche Pflanzung. Eine Steppenpflanzung, die zu jeder Jahreszeit wundervoll aussieht. Das war letztendlich die Grundlage. Die zweite Entdeckung, neben dem Hermannshof, war die Staudengärtnerei Kirschenlohr in Speyer. Das war für mich eine Erleuchtung. Was es dort an Pflanzenvielfalt gibt, das hat mich umgehauen. Das war im Grunde meine Farbpalette. Ich habe gewusst, dass es rot, gelb und grün bei den Pflanzen im übertragenen Sinne gibt, also es gibt Taglilien und Bartiris, aber dass es jeweils Hunderte und Tausende Sorten gibt und zum Teil Dutzende verschiedene Arten, das war neu für mich. Im Grunde hatte ich dann mit dem Hermannshof mein Rüstzeug für die Gestaltung oder eine Idee, was ich machen wollte, und auf der anderen Seite hatte ich dann durch die Gärtnerei Kirschenlohr auch die Pflanzen-Palette zur Verfügung. Piet Oudolf hat sich diese Palette teilweise selbst geschaffen, indem er eine Gärtnerei hatte. Das habe ich nicht gehabt und dann habe ich einen Garten nach dem anderen gemacht, weil ich einfach mit jedem Projekt und mit jedem Garten mehr und mehr Lust hatte. Je besser es funktionierte, desto mehr kamen dann andere Gärten hinzu.

GB: Wir sprachen in unserem Vorgespräch darüber, dass Du als Junge viel durch den Wald gefahren bist und bereits sehr jung eine Passion für Pflanzen hattest. Wie kam es denn zu einer Neuinfizierung, sodass Du gesagt hast „Das ist das Thema, in das mich jetzt Volldampf einarbeite“?

JH: In meinem kleinen Garten habe ich auf sehr bescheidene Art und Weise mit Pflanzen herumexperimentiert, die aus der Natur kamen oder die ich zufällig in einem Gartencenter entdeckt habe. Ich wusste für viele, viele Jahrzehnte, dass es Hemerocallis gibt und mehr nicht, aber dass es 10.000 verschiedene Sorten gibt, das wurde mir wie bereits gesagt erst später klar.

Plötzlich Eröffnet sich Dir eine Landschaft, von der Du Schon ewig geträumt hast. Das ist die Glückseligkeit.

GB: Krass. Das muss ja Wahnsinn sein, wenn sich einem dieser Kosmos erschließt. Wie hast du diesen Prozess wahrgenommen?

JH: Du sitzt in einem öden Zimmer und dann findest du eine Tür. Plötzlich eröffnet sich dir eine Landschaft, von der du schon ewig geträumt hast. Das ist die Glückseligkeit. Und das ist mir passiert. Ich war in meinem kleinen Gärtchen gesessen und habe gedacht, es müsse doch mehr geben als die paar Pflanzen, die ich kenne, und es muss mehr geben als das, was ich bis jetzt ausprobiert habe. Ich hatte ja im Kopf und im Herzen diese Landschaften und diese Gärten. Es ist dann förmlich in mir explodiert! Ich bin dann nach England gereist, bin in die Niederlande gefahren und habe mir einfach auch mal andere Gärten angeguckt. Ich bin in die Gesellschaft der Staudenfreunde eingetreten und habe viele, viele Gartenmenschen kennengelernt, so wie Dich und oder Harald, was letztendlich ein Quantensprung für mich war, so einen begnadeten und kreativen und sensiblen Gestalter kennenzulernen  … und mutig noch dazu, das muss ich wirklich sagen. Uns beide verbindet die Experimentierfreude. Was bei mir von der Chemie kommt, kommt bei ihm wo auch immer her, und das ist dann quasi eine Funktion, die dann immer schneller geht und immer mehr Lust macht.

GB: Vielen Dank für das Gespräch und den schönen Tag, lieber Joachim! Schön ist es in Ludwigshafen 🙂


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