„Hier war von Anfang an alles Teamwork.“

Grünes Blut ist zu Gast bei Dieter Gaißmayer in Illertissen.
Ich bin begeistert, ein Stück der Person kennenzulernen, die sich hier, im Zusammenwirken mit vielen Gleichgesinnten ein kleines Universum aufgebaut hat.

 


 

Wer sich in unseren Gefilden mit Stauden beschäftigt, kennt die Staudengärtnerei Gaißmayer. Wohl kaum jemand, der sich in der grünen Branche an den Endverbraucher wendet, verfügt in Deutschland über eine so umfangreiche Onlinepräsenz samt Eshop, hauseigenem Magazin, Veranstaltungsprogramm, Angaben zum Unternehmen wie die Gärtnerei, der Dieter Gaißmayer seit der Gründung des Unternehmens sein Gesicht leiht. Gartenfeste, ein Schau- und Sichtungsgarten sowie ein vielseitige Veranstaltungskalender locken jährlich zahlreiche Besucher in den kleinen Ort Illertissen im Illertal.
Bereits vor meinem Besuch ließ sich erahnen, was es darüber hinaus bei der zertifizierten Bioland-Gärtnerei zu erleben und zu entdecken geben könnte. Kommt man vor Ort an, ist es aber tatsächlich noch großartiger als geahnt. So grenzt an das Verkaufshäuschen der Gärtnerei eine kleine Filiale von Manufactum und es gibt einen Buchladen. Das der Gärtnerei gegenüberliegende Museum der Gartenkultur besitzt ein eigenes Café. Zudem ist dem Museumsgelände eine großzügige Freifläche vorgelagert, welche Raum für verschiedene Themengärten bietet. Aktuell wird ein Teil dieser Außenanlage für eine medienwirksame Aktionen genutzt. Bereits aus einigen Metern Entfernung tönt aus einer Wellblechgarage die Stimme einer Videoinstallaton. Über dem Eingang hängt ein Transparent mit der Botschaft „Entsteint euch!”. Bereits am Telefon sprach Herr Gaißmayer von der „Steinepest”, deren Entwicklung er mit Schrecken beobachtet. Und das nicht, ohne selbst dagegen anzugehen. Vor der Garage liegt ein abgekippter Berg dicker Kiesel. Gaißmayer will damit zum Rückbau von Stein- und Schottervorgärten motivieren. Das abgespielte Video soll aufrütteln und Bewusstsein dafür schaffen, dass diese Steinvorgärten quasi tote Flächen sind. Gaißmayer verspricht: Wer seinen Steingarten zurückbaut und vor dem Wagen symbolisch einen Eimer seiner Steine abkippt, bekommt eine Gründüngung und einen Bodenaktivator vom Verein „Förderer der Gartenkultur“, dessen ehrenamtliche Mitstreiter auf der Illertisser Jungviehweide aktiv sind, geschenkt.
Auf unserem Rundweg durch die Gesamtanlage der Gärtnerei wird deutlich: Dieter Gaißmayer ist ein Macher. Die Zuschauerperspektive liegt ihm nicht, er packt die Dinge an. Das Marketing liegt ihm im Blut und kommt von Herzen. 
Bei Erdbeertorte und Kaffee lässt es sich bei Sonnenschein gut reden.

 



Lesezeit: 15 Minuten

Interview: Dieter Gaißmayer, Anke Schmitz ∗ Textbearbeitung: Anke Schmitz ∗ Fotos: Anke Schmitz ∗ Lektorat: Ruthild Kropp


 

GB: Herr Gaißmayer. Wenn man bei Ihnen Stauden bestellt, steht auf dem Karton: „Staudengrüße aus dem Illertal!” Was steckt hinter diesem Gruß?

DG: Dieser Gruß soll verdeutlichen, dass wir unsere Pflanzen in einer rauen Gegend kultivieren. Dass die Pflanzen draußen stehen und abgehärtet sind, wenn sie zu den Kunden kommen. Unsere Jungpflanzen wachsen in Bioqualität, mit einem Minimum an organischem Dünger und ohne Pestizide heran. So kann der Kunde davon ausgehen, dass die Pflanzen im Garten gut anwachsen. Manchmal sind die Leute, die viele Pflanzen gekauft haben, ganz verblüfft, weil alle Pflanzen im heimischen Garten angegangen sind. Soweit sind wir wohl schon, dass die Leute staunen, wenn alle Pflanzen anwachsen, denn wenn sie welche vom Baumarkt holen, passiert es oft genug, dass die Pflanzen zu Hause kurze Zeit später schlapp machen. Deshalb ist es ganz wichtig, auf die inneren Werte der Pflanzen zu achten.

Hier werden die Jungpflanzen kultiviert. Dabei wird auf Abhärtung gesetzt.

GB: Kommen Sie selbst hier aus dieser rauen Gegend?

DG: Ja, 20 km von hier bin ich aufgewachsen.

 

Wir haben die Gärtnerei gemeinsam aufgebaut und wir machen sie bis heute gemeinsam.

GB: Sie haben in Weihnstephan studiert und dann im Anschluss die Gärtnerei mit zwei Studienkollegen gegründet …

DG: Genau, das war ein Glücksfall. Wir haben einfach nach einer gärtnerisch nutzbaren Fläche gesucht und der Bürgermeister von Illertissen hat uns dann einen Teil der jetzigen die Gärtnerei zu fairen Konditionen angeboten. Wir mussten 300 DM Pacht im Monat zahlen. Das war natürlich toll. Wir hatten auch kein Startkapital. Wir haben einfach losgelegt und zunächst in bescheidenem Umfang Gemüse angebaut und damit haben wir uns im Prinzip unser Dasein finanziert, das aber zu der Zeit auch noch nicht zu teuer war. Jeder von uns war noch praktisch daheim und außer Bier haben wir nicht viel gebraucht.

GB: Ok, [lacht] das Studentenleben eben. Wie war das damals zu Beginn der Gärtnerei?

DG: Hier war von Anfang an alles Teamwork. Nach außen bin zwar immer ich als Pächter dieser Gärtnerei aufgetreten, aber mir war es immer wichtig, keine autoritären Strukturen mit dem Chef ganz oben zu haben. Wir haben die Gärtnerei gemeinsam aufgebaut und wir machen sie bis heute gemeinsam.

Es ist ab dem ersten Betreten einfach einladend in der Gärtnerei Gaißmayer …

GB: Abgesehen von einer grundsätzlichen Portion Mut, die es wohl braucht, um sich nach dem Studium direkt selbstständig zu machen, waren ja Stauden zu der Zeit nicht so angesagt, oder?

DG: Wir hatten tatsächlich Glück, dass sich gerade um diese Zeit die Nachfrage nach Stauden entwickelte. Wir haben damals richtig viel gearbeitet. Früher gab es die Leibeigenen und heute gibt es die Bankeigenen: Betriebe und Unternehmen, die der Bank gehören. Davon gibt es gerade zum Beispiel im kapitalintensiven Garten- und Landschaftsbau relativ viele. Wir haben aber das Prinzip verfolgt, erst die Finanzmittel zu erwirtschaften und sie erst dann auszugeben. Dafür wird man von unserem Staat zwar bestraft, weil man eben kräftig Steuern zahlen muss, es ist ist aber eine sichere Sache und ein gutes Gefühl, wenn man keine Schulden haben muss. Dieses Prinzip gilt bis zum heutigen Tag.

So weit es geht unabhängig zu sein, ist mir wirklich sehr wichtig.

GB: Geht es dabei darum, die persönliche Freiheit zu haben?

DG: Ja, so weit es geht unabhängig zu sein, ist mir wirklich sehr wichtig. Vor einiger Zeit kam ein Angebot von Amazon. Premium Promoting kostenlos, wenn wir auch über Amazon verschicken. Darauf habe ich zurückgeschrieben, dass das so ziemlich das Letzte wäre, was ich machen würde. Eher würde ich meinen Betrieb aufgeben. Ich sehe mit Entsetzen, dass Amazon, nachdem sie dem Buchhandel und vielen anderen Branchen das Leben schwer machen, sich nun auch des Gartenbaus bemächtigen wollen. Aber da bin ich vielleicht auch etwas vorbelastet durch meine Drogistenzeit.

Zwischen den Gewächshäusern präsentieren sich viele der über 3000 Sorten.

GB: Können Sie das näher erläutern?

DG: Der Drogist war früher der Begleiter und Berater des Menschen von der Wiege bis zur Bahre. Die Drogerie, in der ich damals arbeitete, hatte ein Fotolabor, in dem man für den Kunden Fotos entwickelt hat. Zudem hatten wir ein Chemikalienlager, eine Kosmetikabteilung, Farben … also alles, was man sich vorstellen kann. Das war damals eine fundierte Ausbildung, die ein breites Wissen erforderte. Heute gibt es diesen Beruf in dieser Form praktisch nicht mehr. Durch Drogeriemarktketten, wie von Müller & Co., ist er zugrunde gegangen. Gesellschaftlich gesehen aus meiner Sicht ein enormer Rückschritt, denn unzählige Familienbetriebe, qualifizierte Arbeitsplätze, fundierte Beratung und menschliches Miteinander sind auf der Strecke geblieben.

Jeder Kauf ist zugleich auch eine Abstimmung, wohin es in Zukunft geht.

GB: Also stehen Sie den wirtschaftlichen Entwicklungen im Einzelhandel kritisch gegenüber.

DG: Ich weiß, viele kaufen bei Amazon, weil es bequem ist. Sie gehen zu McDonald’s und essen da die Burger und kaufen im Discounter. Aber jeder Kauf ist zugleich auch eine Abstimmung, wohin es in Zukunft geht. Die Frage ist, ob man in ein paar Jahren nur noch Ketten oder Vielfalt und Individualität im Einzelhandel haben will. Wir haben hier im Jahr viele Omnibusse mit Gruppen, die wir durch unser Gärtnerei führen. Insbesondere die jungen Leute versuche ich, für solche Themen zu sensibilisieren. Auch bei Vorträgen mache ich als Vorspann immer solche gesellschaftliche Geschichten. Das gehört für mich alles zusammen. Leider wird den Kindern häufig nicht mehr beigebracht, in Zusammenhängen zu denken. Die sollen funktionieren. Wer keine Leistung bringt, bleibt auf der Strecke. Aber Funktionieren ist nicht alles. Es gehört ja mehr dazu. Des Herzens warme Güte, Begeisterungsfähigkeit, all die Dinge, die ein Leben ausmachen.

Scheint die Bodenhaftung nie verloren zu haben … Dieter Gaißmayer.

GB: Was bedeutet das für den Gärtnerberuf?

DG: Wir versuchen, den Azubis zum Beispiel zu vermitteln, dass sie zwar Staudengärtner werden, aber auch die wichtigsten Bäume kennen und was über Zimmerpflanzen und Gemüse wissen sollten. Eben weil sie doch unabhängig von der Fachrichtung erstmal Gärtner sind. Nur ist das leider nicht angesagt. Das Gegenteil ist der Fall. Aber ich bin Optimist und glaube, dass auf jede Bewegung auch eine Gegenbewegung folgt. Darum sind meine Freude wirklich die jungen Leute in der Gärtnerei. Ich finde es toll, dass sie sich wissentlich entscheiden, zumindest ihr Umfeld vernünftig zu gestalten. Bei denen ist nicht nur Pessimismus angesagt. Denen ist klar, dass es auf jeden einzelnen Menschen ankommt und was er aus dem macht, was er hat. Der Gärtnerberuf ist eine gute Grundlage für die Zukunft. Man kann sich immer selbst versorgen. Es gibt eine Sicherheit. Mit Glück braucht man sie nie im Leben, aber vielleicht braucht man sie doch mal. Man könnte auch Aussteiger werden und hat dann das Wissen, wie man sich seine Nahrungsgrundlage selber schaffen kann. Dass man mit diesem Beruf nicht unbedingt viel Geld verdient, ist klar, aber du wirst vielleicht durch ein schönes Arbeitsumfeld mental reich.

GB: Täglich bei Wind und Wetter draußen zu sein, ist ja auch etwas Erfüllendes.

DG: Das kommt auch hinzu. Zumindest für diejenige, die noch nicht zu sehr von der Natur entfremdet sind. Ich muss nicht den ganzen Tag vor einer Kiste hocken, und das sind Sachen, die vermutlich zukünftig deutlich in ihrer Wertigkeit steigen. Der Garten war immer ein wertvolles Paradies und war für die Menschheit immer wichtig. Heute ist das heimische Grün für manche Leute leider eine Last. Darunter ist vor allem die junge Generation. Aber warum ist die Frage? Weil es uns nicht gelungen ist, sie irgendwo nach dem Kindergarten abzuholen. Eine Naturverbundenheit wird fast immer in der Kindheit angelegt. Wo haben Sie Ihre Affinität her zum Garten?

Wir müssen es schaffen, dass es wieder Usus ist, dass Kinder mit Garten und Pflanzen zusammengeführt werden.

GB: Ich war als Kind auch immer draußen …

DG: Das ist die Wurzel. Wir müssen es schaffen, dass es wieder Usus ist, dass Kinder mit Garten und Pflanzen zusammengeführt werden. Das ist Jahrzehnte lang nicht der Fall gewesen. Darum haben wir jetzt diese ganzen Steinvorgärten. Wir haben da eine Aktionen laufen, die heißt „Entsteint euch!“. Da ist ja dieser entsetzlich Trend, ich weiß nicht, ob das bei euch auch so ist, aber das breitet sich aus wie die Pest.

Themengarten der Aktion „Entsteint euch!“

GB: Seiten wie „Gärten des Grauens“ auf Facebook mögen zum Teil mit Ihren Verrissen lustig sein, aber es tritt auf der Stelle. Denjenigen, die sich einen Steinvorgarten anlegen und meist keinen Bezug zum Garten haben, ist wenig geholfen.

DG: Das ist der falscher Ansatz. Diese Entwicklung ist nichts zum drüber-lustig-Machen! Viele sind einfach in die Irre geleitet und denken, „das macht man halt so!“. Mit Satire überzeugen wir die Leute nicht. Das muss man mit Aufklärung, Geduld und Geschick machen.

Wir möchten keine Pflanzen vermehren und in den Umlauf bringen, von deren Wert wir nicht überzeugt sind.

GB: Es ist interessant, dass man auf der einen Seite die Steinvorgärten und auf der anderen Seite dieses Rückbesinnung auf Wildstauden hat. Was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über „alte” Stauden zu schreiben?

DG: Es gibt eine Krankheit die heißt Neuheiterititis, aber viele Neuheiten taugen nichts. Mit denen kann man gutes Geschäft machen, weil die Kunden an Neuheiten interessiert sind. Wir möchten keine Pflanzen vermehren und in den Umlauf bringen, von deren Wert wir nicht überzeugt sind. Ich würde aber gerne erreichen, dass die Leute sagen „Oh, eine Neuheit, da warte ich erst mal ab, ob sie sich bewährt, ob es sie in zwei, drei Jahren immer noch gibt“. Denn tatsächlich sind die meisten Neuheiten schnell wieder vom Markt und meine persönliche Antwort auf diese Neuheiterititis sind die historische Stauden, welche bereits seit Jahrzehnten oder weit länger in Mitteleuropa in Kultur genommen wurden. Über Generationen erprobt, stelle ich viele von ihnen in meinem Buch „Staudenschätze” vor.

Der Schau- und Sichtungsgarten von der Besucherterrasse.

GB: Könne Sie ein Beispiel für einen solchen Staudenschatz nennen?

DG: Zum Beispiel Morina longifolia, die Elfendistel. Die haben wir hier seit 30 Jahren. Das ist eine fantastische Staude. Sie wird von Insekten besucht, hat aromatisches Laub, blüht wunderbar und hat ganz attraktive Samenstände, so dass auch noch die Wintersilhouette toll ist. Sie ist ausdauernd, wächst problemlos, ist attraktiv für Blumensträuße und kaum jemand kennt sie. Somit ist sie quasi auch eine Neuheit und in dieser Kategorie gibt es viel zu entdecken. Unsere Quartiere dienen unter anderem dazu, diese Pflanzen live vorzustellen. Zudem können wir selbst die Pflanzen studieren und dann die auswählen, die wir in Umlauf bringen aber vor allem auch erhalten möchten, weil diese historischen Stauden sonst ganz einfach verloren gehen. Moden wechseln und plötzlich sind wieder andere Pflanzen attraktiv oder gefragt, die man so lange links liegen gelassen hat.

GB: Dann ist der Sichtungsgarten auch zum Teil eine Arche Noah?

DG: Ja, so kann man das sagen.

GB: Dann bedanke ich mich, lieber Herr Gaißmayer, dass ich auf Ihrer Arche einen Tag mitfahren und Sie ein Stück als Menschen kennenlernen durfte. Ein toller Tag war das!

 


 

WELCHER INTERVIEWPARTNER INTERESSIERT EUCH? WELCHE FRAGEM HABT IHR AN IHN? WELCHE GESPRÄCHSTHEMEN FINDET IHR SPANNEND?

NOCH EIN KLEINES BISSCHEN WEITER RUNTER SCROLLEN UND GRÜNES BLUT MIT EUREM KOMMENTAR MITGESTALTEN!